Elephantenpost
: Kolonialzeit als fortgesetzte Operette

■ Von golfspielenden Sikhs und zerstückelten Filmproduzentensohnleichen in Bombay

Der bislang lauteste Protest gegen die neue Rechtsaußen- Regierungspartei BJP war jüngst auf einem Open-air- Heavy-Metal-Konzert in Bombay zu hören. Mit viel Nebel auf der Bühne bot die Gruppe Uggly aus Poona eine ziemlich gewagte Mischung aus Sweet-Nirvana-Slade-Coverversionen und rief zwischendurch das zu 98 Prozent männliche Publikum zur Revolte gegen das angekündigte Verbot von Rockmusik auf: Wir machen weiter! Gemäßigter äußerte sich der muslimische TV-Seriendarsteller Salim: die BJP-Hindus wären zu schlau, um den anderen Religionen offensiv den Krieg zu erklären. Er befürchtet vielmehr, daß über indirekte Repressionen wie z.B. Verweigerung von Stipendien für muslimische Studenten alle Nicht-Hindus allmählich zu „Minderheiten“ im eigenen Land würden.

Die neue Regierung liefert durchaus Party-Gesprächsstoff, aber irgendwie scheint das ewige Koalitionsgerangel doch eher in Delhi stattzufinden. Das behauptet jedenfalls die sehr britische Edna, die 1959 mit ihrem indischen Ehemann nach Bombay zog und gerade ihren 66. Geburtstag feierte. Edna liebt auffälligen Schmuck, viktorianische Möbel, Glasschwäne – und Brandy. Der floß reichlich auf ihrer Party, zu der hauptsächlich ältere Damen in bonbonfarbenen Rüschenkleidern kamen, die alle dieselbe hellblonde Haarfarbe wie Edna hatten und sämtlich in Begleitung von pensionierten Sikh- Ehemännern waren, die mit Golfspielen die Nachmittage totschlagen.

Diese Szene bestimmt nach wie vor die Atmosphäre auf der Pferderennbahn und in den traditionsreichen Clubs der Stadt, deren Mitgliedschaft man eigentlich nur ererben kann. Die neureichen Geschäftsleute haben ihre eigenen Swimmingpools, Tennisplätze und Club-Restaurants.

Im postkolonialen „Bombay- Gymkhana“ oder im „Wellington“ dagegen kennt man sich seit Generationen – und nutzt vorzugsweise am Wochenende die Gelegenheit, bei gekühlten Drinks unter unermüdlichen Ventilatoren den letzten Klatsch & Tratsch auszutauschen. Das Geplauder über bevorstehende Operationen, Hochzeiten und Reisen wurde letzten Samstag durch Reevas Bericht über den Mord am Sohn des Filmproduzenten C.P. Sippy jäh unterbrochen: In vier Stücke zerschnitten habe er unentdeckt 72 Stunden im eigenen Hinterhof gelegen! Von der Vierteilung wußten die Zeitungen tags darauf zwar nichts, dafür brachte man dort den Mord in einen möglichen Zusammenhang mit Sippys Vorhaben, eine indische Fortsetzung von „Vom Winde verweht“ zu produzieren... Oft beschleicht mich dieses Gefühl, daß die heutige indische Elite mit ihren weiß livrierten Dienstboten, Chauffeuren, Glöckchen auf jedem Tisch und Schreibtisch, der Crickett-Manie und Reit-Wochenendausflügen in die Hill-Stations eine operettenhafte Fortsetzung der britischen Kolonialzeit lebt. Bei gleichzeitiger Erinnerung an die Schmach der Unterdrückung. Als sei der Zweite Weltkrieg gestern erst zu Ende gegangen, erzählt Varuna, die als Maharadschatochter in einem Darjeeling-Palast mit einem eigenem Zoo aufwuchs, wie zweitklassig ihr inzwischen zahnloser Gatte damals in der britischen Armee behandelt woren sei, als er in Italien gegen die Faschisten kämpfte.

Varunas Sohn Shekar, der die Geschichte nicht zum ersten Mal hörte, verabschiedete sich vorzeitig und lud die kleine Clubrunde zu einem Nach-Mitternachts-Dinner in sein Restaurant „Status“ ein. Insgesamt besitzt Shekar 32 florierende Restaurants in Bombay und plant gerade die Erweiterung seines Imperiums um eine mehrstöckige Diskothek in zentralster Ausgehlage. Im „Status“ bat er um Kommentare zu seiner Idee für die neue Disco – als Gastronom müsse man sich ständig etwas Neues einfallen lassen, sonst sei man verloren. Wie wäre es, wenn sich das verwöhnte Bombay-Publikum in dieser Disco zur Abwechslung mal ausschließlch von weißem Personal bedienen lassen würde? Die Runde prophezeite in leicht verschwörerischer Stimmung einen Mega-Erfolg. Dorothee Wenner