Kariöse Stoßzähne und andere Makel

Manchmal schimmert Beton durch. Manchmal weint die Schimpansin Judy menschliche Tränen. Macht nichts, „Daktari“ ist immer noch abenteuerlich. Ein Blick auf die Serie, die sonntags um 14.20 Uhr auf Kabel 1 läuft  ■ Von Harald Keller

In Afrika scheint immerfort die Sonne, blendend strahlt sie auf den Gesichtern des Daktaris und seiner dienstbaren Geister wider. Sonnig auch sind die Gemüter und die Khakihemden so reinlich und jederzeit ohne Makel, daß man schmuddelkindisch rufen möchte: Bringt mir den Schwitzfleck von Paula Tracy!

Mit der idyllisch gelegenen Wameru-Forschungsstation hat sich der aus Amerika angereiste Buschdoktor ein kleines Paradies geschaffen. Mensch und Tier leben in friedlicher Eintracht – die Schimpansin Judy ist fraglos viel zu klug, um ihren Ernährern ein Leid zu tun, der Löwe Clarence schlechthin viel zu faul.

Obzwar die lammfromme Großkatze meistens damit beschäftigt ist, schläfrig in der Sonne zu lungern, geht die Entstehung der Serie nicht zuletzt gerade auf ihren Publikumsappeal zurück. Sie war Star des Kinofilms „Clarence, der schielende Löwe“ („Clarence, The Cross-Eyed Lion“, USA 1965), mit welchem die schnurrige Savannensaga ihren Anfang nahm.

Der Spielfilm, dessen Drehbuch auf einem Entwurf von Hauptdarsteller Marshall Thompson und Art Arthur beruhte, gibt Kunde darüber, wie Clarence nach Wameru kam und von den Tracys in Pflege genommen wurde. Der Hauptstrang der Erzählung ist einer Anthropologin gewidmet, die von Wilderern entführt wird. Der Daktari läßt es sich nicht nehmen, die Wissenschaftlerin zu befreien und die Halunken dingfest zu machen, wobei Clarence im Rahmen seiner Möglichkeiten zum Fahndungserfolg beiträgt.

Dem deutschen Publikum wurde dieser Film erst 1991 zugänglich, in den USA aber fand die unterhaltsame Mischung aus Safarilook, Tierfilm und dezenten Abenteuerelementen mit heiteren Einsprengseln ein großes Publikum, so daß der TV-erfahrene Produzent Ivan Tors zusammen mit Marshall Thompson die Prolongation als TV-Serie in Angriff nahm.

Der gebürtige Ungar Ivan Tors hatte mit „Sciene Fiction Theater“ (USA 1955–1957) die erste Fernsehanthologie dieser Gattung lanciert und mit „Abenteuer unter Wasser“ („Sea Hunt“, USA 1957–1961) einen großen Erfolg verbuchen können. Anfang der sechziger Jahre wandte er sich dem Tierfilm zu und gründete gemeinsam mit dem Verhaltensforscher Ralph Helfer das über 100 Hektar große Freigehege „Africa U.S.A.“, wo einheimische und exotische Tiere möglichst artgerecht für Filmzwecke dressiert wurden. Hier, etwa 40 Meilen nördlich von Los Angeles, entstanden auch die „Daktari“-Kulissen.

Deswegen schimmert in manchen Folgen Beton, wo eigentlich naturgewachsene Materialien die Szenerie bestimmten sollten, und oftmals kaschieren die zum Zwecke der Tarnung plazierten Sträucher und Büsche nur unzulänglich die festen Bauten des an Wochenenden für Besucher geöffneten parkähnlichen Zoos.

Der Bestand hielt alles vor, was von einer in Afrika spielenden Serie erwartet werden konnte – Giraffen und Elefanten, Schlangen und Skorpione. Wesentlich für die Auswahl der Schauspieler war denn auch, daß sie gegenüber Tieren keine Scheu zeigten. Cheryl Miller, eine reife Mittzwanzigerin, die mit der Tochter des Daktaris einen von jeglichem animalischen Gewese unbeeindruckten Teenager reinen Herzens zu spielen hatte, kannte diesbezüglich kaum Hemmungen und führte Geparden spazieren, legte sich meterlange Pythonschlangen um den Hals und wagte gar den Ritt auf einem weißen Rhinozeros. Trotzdem war ein Double erforderlich, allerdings für einen anderen Hauptakteur – der sonst so langmütige Clarence mochte sich mit lärmenden Lkws nicht anfreunden, so daß er in einschlägigen Szenen durch einen Artgenossen namens Major ersetzt werden mußte.

In der Serienwirklichkeit liegt die kleine Tierklinik freilich weit entfernt von der Zivilisation inmitten des Wameru-Reservats. Hier beobachtet der Daktari mit Unterstützung des Umweltschützers Jack Dane und des Einheimischen Mike Makula das Verhalten der Fauna, heilt kariöse Stoßzähne oder zieht Dornen aus verletzten Pfoten und hat jederzeit eine „neue Forschungsmethode“ in petto, um erkrankten oder verhaltensgestörten Tieren Linderung zu verschaffen. In dieser Abgeschiedenheit können Vater und Tochter sogar ungeschoren und in aller Unschuld ein Kind bekommen – im dritten Jahr der Serie läuft ihnen die siebenjährige Waise Jenny zu und wird als festes Mitglied in die kleine Tierschützerfamilie aufgenommen. Ein häufiger Besucher und verläßlicher Gewährsmann ist der näselnde Wildhüter Hedley, ein spleeniger Kolonialbrite, wie er im Dschungelbuche steht. Selbstredend verzichtet er auch in der unwirtlichsten Umgebung niemals auf sein silbernes Teegeschirr und verteidigt das umständliche Ritual gegenüber der Schimpansin Judy: „Wo er sich auch immer befinden mag, ein englischer Gentleman sollte jeweils die Möglichkeit haben, seinen Tee zu trinken.“

Die Bewohner von Wameru und Hedley sind einig und emsig darum bemüht, die Tiere des Reservats vor menschlicher Mordlust zu bewahren. Allweil will jemand einer bedrohten Spezies ans Leder. Häufig stromern blindwütige Großwildjäger und trophäenbesessene Abenteurer durch ihr Gebiet, mitunter gilt es auch, jugendliche Heißsporne umliegender Stämme zu bremsen, die nur zu gern Zugriff hätten auf das üppige Fleischangebot der Schutzzone.

Unverzichtbarer Bestandteil jeder Episode sind die Drolerien der Schimpansen Judy und Toto. Namentlich Judy ist in schon groteskem Maße vermenschlicht; sie weint sogar bittere Tränen, wenn eines der anderen Geschöpfe die Reise in die Ewigen Jagdgründe antritt. Oft ist sie den Erkenntnissen von Herrchen und Frauchen ein gehöriges Stück voraus, was die Chronisten Hilary Kingsley und Geoff Tibballs zu dem lästerlichen Urteil nötigte: „Nicht nur waren die Tiere intelligenter als die Menschen, sie waren auch die um einiges besseren Schauspieler.“

Ganz leicht gekürzter Vorabdruck aus dem dritten „Kultserien“- Band von Harald Keller, der dieser Tage erscheint und den wir Ihnen wärmstens unters Kopfkissen empfehlen: „Kultserien und ihre Stars – Das Pflichtprogramm“, Bertz-Verlag, 28 Mark