■ Gysi wird ohne Konsequenz mit der Stasibelastung leben können
: Die Partei, die Partei gibt ihm immer recht

Mit dem Casus Gysi endet die politische Auseinandersetzung um die Tätigkeit von DDR-Bürgern für die Stasi. Und sie endet, wie sie begann. Als ein undurchdringliches Knäuel aus Akten und Beweisen, Unschuldsbehauptungen und Lügen, durchwoben von ost-westlichen Lagermentalitäten und parteitaktischen Interessen. Wer Gewißheit haben wollte, mußte sich an die Arbeit des Entwirrens machen. Und wer Gewißheit hatte, dem wurde spätestens mit dem Fall Stolpe klar, daß es etwas noch stärkeres als diese Gewißheit gab. Die Partei, die sich hinter den Beschuldigten stellte.

Auf diesen Rückhalt baut auch Gysis nunmehr siebenjährige Leugnung. Der Mann ist für die PDS unersetzbar, deshalb hätte er auch täglich mit Mielke persönlich telefonieren können, ohne deshalb Konsequenzen fürchten zu müssen. Und was dem inoffiziellen Vorsitzenden recht ist, das sei den Mitgliedern doch billig. Schon seit längerem muß keiner in der PDS mehr wegen einer verschwiegenen Zuarbeit fürs MfS Nachteile fürchten. Dabei wird oft vergessen, daß sich die PDS einst selbst die Offenlegung der Stasitätigkeit als Maßnahme der politischen Hygiene verordnete. Doch der einst eingeklagte differenzierte Umgang mit der Vergangenheit wurde schon längst zugunsten eines Rundumschlages auf vermeintlich westliche Anmaßungen aufgegeben.

Diese neuaufgelegte Systemkonfrontation macht das eigene Unrecht maßstabslos. Sie macht vergessen, daß Politiker – egal, ob Ost oder West – schon wegen weit geringerer Vorwürfe als jenen, die Gysi zu gewärtigen hat, zurückgetreten sind. So trat Engholm von der Bonner Bühne ab, weil er den Zeitpunkt eines Gesprächs falsch erinnerte. An solchen moralischen Maßstäben wird sich Gysi nicht messen können.

Der PDS-Politiker muß keine Konsequenzen mehr fürchten. Sein Mandat war nie in Frage gestellt. Er muß keine politischen Konsequenzen ziehen. Wer ihn im September wählt, tut dies im Wissen um die vom Bundestag festgestellte Stasitätigkeit.

Gregor Gysi sollte allerdings zumindest eine Konsequenz aus dem Bundestagsvotum ziehen. Er sollte sich künftig versagen, seine früheren Mandanten für sich zu vereinnahmen. Mag sein, daß er unter den Bedingungen der DDR-Justiz einiges für sie erreicht hat, auch wenn er sie dabei verriet. Doch sich einen Teil ihres politischen Erbe zu sichern, sich als Halboppositioneller der DDR zu stilisieren, das sollte er unterlassen. Soviel politischer Stil wäre eigentlich zu erwarten. Dieter Rulff