Realitäts-un-sinn

■ Hattig und Hickel dikutierten (kaum) den Euro

Thema Euro. Da könnte man reden über Parteien, welche die epochale Wichtigkeit des Euros predigen – und ihre schwächsten Leute nach Brüssel schicken – alternativ zur Frührente. Man könnte über die Unterrepräsentanz von kritischen Instanzen – Gewerkschaften, Umweltverbände – im krassen Gegensatz zum geballten Auftritt von Wirtschaftslobbyisten klagen. Auch das Versagen der vierten demokratischen Kraft Presse wäre ein Wörtchen Wert: Schwups sind neue Umwelt-Richtlinien da, und wir können–s auf Seite 47 als Kurzmeldung nachlesen. Man könnte aber auch die Wanderrouten zukünftiger Arbeiterströme zu prognostizieren versuchen.

Auf einer Veranstaltung der Jungen Union letzte Woche zeigten aber sowohl Wirtschaftssenator Josef Hattig (CDU) als auch der SPD-nahe Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel wenig Lust, über die Auswirkung des Euros auf den deutschen Arbeitsmarkt zu spekulieren. Kurz rezitiert Hickel den common sense: Der Euro sei keine Inflationswährung. Nur typisch „teutonische Ängste“ würden dies manchem einflüstern. Der Run auf die Konvergenzkriterien hat allerdings erstmal Arbeitsplätze gekostet. Hattig stimmt zu: „Wer meint, der Euro bringe Arbeitsplätze, versteht wenig vom System.“ Eine Verschärfung der Konkurrenz prognostiziert er aus ganz oberflächlichen Gründen: Wenn ab 1/99 überall in Euro gerechnet wird, könnte es unangenehm auffallen, wenn VW sein Autos in Deutschland zu einem höheren Preis losschlägt als in Belgien. Dann stimmten beide pflichtbewußt in den allgemeinen Alles-ist-gut-Selbstbeschwörungschor ein.

Ein düsterer Eindruck drängt sich auf: Wir lassen uns auf etwas ein – und keiner weiß auf was. Wie bei der Wiedervereinigung, wo keine Prognose stimmte, allein schon deshalb, weil es konkrete gar nicht gab.

So hatte man wenigstens viel Zeit, die alten innenpolitischen Fronten noch einmal nachzuziehen: Verdankt sich die hohe Arbeitslosigkeit überteuertem Angebot (rechts) oder mangelnder Nachfrage zwecks Geldmangels (links)? Gilt es also die Lohnnebenkosten zu senken und das soziale Netz auszudünnen (rechts) oder die Kaufkraft zu pushen, z. B. durch steigende Mindestlöhne (links)? Muß der Staat den versandeten Waren-Geld-Strom freibaggern durch Subventionen (links), oder ist der Staat selbst der Sand im Getriebe (rechts)?: Die unendlichen Variationen der Frage nach der richtigen Umverteilung.

Trotz altbekannter Positionen hatte die Veranstaltung durchaus Informationswert. Erneut erlebte man Hattig als sehr angenehme Erscheinung. Wo Blair, Schröder, Clinton das Bloßlegen von Zahnreihen – manche nennen es Lächeln – mit einem politischen Argument verwechseln, steht Hattig zu seinen tiefen Stirnrunzeln. Er versucht lieber mit Rhetorik zu überzeugen, quetscht witzige Wendungen mit Hang zum Zynismus in den hintesten Nebenraum wild verwinkelter Satzgebäude. Mit der Nervosität eines sehnigen Rennpferdes kurz vor dem Start, bringt er aber noch jedes grammatikalische Ungetüm zu einem guten Ende.

Trotz aller Anerkennung: Der Ex-Beck's-Chef verbeißt sich gerne in zwei gefährliche, typisch rechte Denkfiguren. Das hartnäckige Berufen auf Tatsachen, selbst dann noch, wenn sie längst als fragwürdig geoutet sind, und den euphemistischen Verweis auf die eigene Erfahrung als erfolgreicher Wirtschaftmann. Als sei ein erfolgreicher Schreiner der richtige Mann für eine Theorie des Waldsterbens. Nur gut, daß Hickel zu den ganz raren Linken zählt, die sich nicht vom vermeintlichen rechten Realitätssinn in die Defensive jagen lassen, sondern geduldig mit Statistiken und klugen kausalen Herleitungen ihren „Idealismus“ verteidigen. bk