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Gemaule mit Niveau

■ Werder verdaddelt die UEFA-Cup-Chance – und steht doch besser als erwartet / Ein kleiner Saisonrückblick auf den diesjährigen Liga-Irrsinn und die wackeren Werderaner

Dochdoch, dieser Saisonabschluß hätte lustiger sein können. Lange Gesichter gab es am Samstag bei den Werder-Fans in diversen Bremer Gasthäusern. Eigentlich hatten sie ihre Herzenscombo feiern wollen, weil die den Sprung ins europäische Geschäft noch geschafft hat, eigentlich – doch allein: Die krude Realität sah anders aus. Die Grün-Weißen haben beim Betriebsausflug nach Stuttgart ihre Chance verdaddelt. Obwohl in der zweiten Halbzeit nur zehn Stuttgarter auf dem Platz gestanden haben. Noch schlimmer, sie haben auch noch richtig schlecht gespielt. Kaum gekämpft. Kaum Leidenschaft gezeigt. Hinterher auch noch erzählt, es sei halt zu warm gewesen. Ha! Und so wurde in so mancher Kneipe Übellauniges ausgestoßen: „Die habens auch nicht verdient.“ Willkommen in Bremen: Gemaule auf gehobenem Niveau.

Stimmt schon, die Leistung am Samstag war unter aller Kanone. Zugegeben, schon das letzte Heimspiel gegen den VfL Bochum haben die Werderaner nur mit Dusel gewonnen. Aber trotzdem, ehe jetzt eine ganze Saison im Orkus der chronisch schlechten Bremer Laune versinkt: Ein kleiner Blick zurück beweist, daß die grün-weiße Seele eigentlich eher jubilieren müßte. Es hätte alles ganz, ganz anders kommen können.

Schon vergessen? Zu Beginn der Saison rutschte Werder direkt am ersten Spieltag auf den letzten Platz. Und blieb dort vier lange Wochen. Berappelte sich wieder, um dann allerdings erneut in die Abstiegszone zu fallen. Schon vergessen? Wer hat da auch nur von einem einstelligen Tabellenplatz zu träumen gewagt, geschweige denn von der Chance zum UEFA-Cup? Und wie lange ist es her, daß Trainer Wolfgang Sidka Woche für Woche die Parole ausgeb, die Mannschaft müßte endlich die rettenden 40 Punkte aufhäufeln, um mit dem Abstieg nichts mehr zu tun zu haben? War es gestern? War es vorgestern? Länger her kann's nicht gewesen sein!

Werder spiegelt exakt den diesjährigen Liga-Irrsinn wieder. Über lange Zeit gab es ein Spitzenduo, darunter ein Mini-Mittelfeld – und ab Platz sechs begann die Abstiegszone. Und Werder mittenmang. Da schien – bis auf die Meisterschaft – alles möglich. Und zwar nach oben wie nach unten. Noch nie lagen „oben dran“ und „unten drin“ so nahe beieinander. Wir bilanzieren also nüchtern: Bei Werder ist es am Ende doch nach oben gegangen. Vier gewonnene Spiele in Serie, alle ohne Gegentor. Daß sich die Bremer aus den Treibsand-Regionen doch noch in die Euro-Zone gekämpft und gespielt hat, das ist die positive Saisonbilanz, die in diesem Jahr auch gezogen werden muß – bei allem Frust über das letzte Spiel und die verpatzte Chance. Und mal so gesagt: Die Millionarios aus Dortmund sind auf Platz 10 gelandet – weit entfernt von Gut und Böse.

Daß am Ende diese doch positive Bilanz gezogen werden kann, das hat vor allem mit einer Veränderung zwischen den Werder-Ohren zu tun. Vielleicht der dickste Posten auf der Bremer Haben-Seite und die größte Hoffnung für die nächste Saison: Das grün-weiße Muffensausen ist verschwunden. Mit Schaudern erinnern wir uns an die letzte Spielzeit und noch an den Beginn der laufenden, als die Angst als zwölfter Mann im Werder-Dreß mit auflief. Die bleibeinige Angst vor dem Fehlpaß, die Angst vor den Pfiffen von den Rängen. Die Zeiten sind vorbei.

Stattdessen hatten sie mit einem ganz anderen Psychoproblem zu kämpfen. Immer dann nämlich, wenn Werder den Sprung nach oben hätten schaffen können, haben sie nicht so recht punkten können. Sagen wir's kurz und drastisch mit den beiden Worten, die von Dieter Eilts bis Jens Todt am meisten benutzt wurden, wenn sie den Sprung nach oben mal wieder nicht geschafft hatten: „zu blöd!“ Zu blöd beispielsweise, den HSV zu schlagen, den man doch so klar dominiert hatte. Zu blöd, eine der zahlreichen Chancen auch zu verwandeln, die sich die Bremer im Westfalenstadion erspielt hatten. Und, jaja, zu blöd, zehn Stuttgartern Paroli zu bieten.

So wird's am Ende doch noch bremisch-maulig: „Die haben's auch nicht verdient.“ Steht einer am Nebentisch, sagt: „Schon vergessen? Letzter Platz am Anfang der Saison...“ Undsoweiter undsofort. Nächste Wahrheiten dann beim UI-Cup. Jochen Grabler

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