Offensiv gegen härtere Linie

■ Nach den Polizeieinsätzen am 1. Mai wird Bilanz gezogen und "Antirepressionsarbeit" organisiert. Laut Ermittlungsausschuß gab es dreimal so viele Haftbefehle wie im letzten Jahr

Aufgrund der zahlreichen Festnahmen rund um den 1. Mai will das „Antirepressionsbündnis“ jetzt rechtsanwaltliche Hilfe für die Betroffenen leisten und in der Öffentlichkeit offensiv gegen Schöhnbohms „härtere Linie“ vorgehen. Das Bündnis, ein Zusammenschluß verschiedenster Gruppen und Einzelpersonen, hatte sich bereits im vergangenen Jahr im Zusammenhang mit den Festnahmen und Prozessen des damaligen 1. Mai gebildet und jetzt für dieses Jahr Bilanz gezogen:

Über 500 Personen wurden nach Polizeiangaben bei den zahlreichen Veranstaltungen – der Walpurgisnacht, den beiden „revolutionären 1.-Mai-Demonstrationen“, den Straßenfesten am 1. und 2. Mai und der Demo gegen „rassistische Innenpolitik“ am darauffolgenden Sonntag – festgenommen. Laut Ermittlungsausschuß wurden 39 Haftbefehle erlassen, davon 22 mit Haftverschonung. Die meisten sind das Ergebnis der Auseinandersetzungen in Prenzlauer Berg am Abend des 1. Mai. Die Vorwürfe lauten in der Regel auf (schweren) Landfriedensbruch, Widerstand gegen Polizeibeamte und Gefangenenbefreiung. Trotz der schlechten Bilanz des Mai-Wochenendes ist die Stimmung im Antirepressionsbündnis nicht gedrückt, sondern von Routine geprägt. Keine Aufregung, wenn Jugendliche erzählen, wie sie grundlos von Polizeibeamten geschlagen wurden oder eine Anzeige wegen Widerstands gegen Polizeibeamte erhielten, weil sie sich im Polizeimannschaftswagen – schon in Plastikhandfesseln – nicht sofort zu Füßen der Polizisten auf den Boden legen wollten.

Viele vom Bündnis finden das Vorgehen der Polizei an diesem 1. Mai besonders brutal: „Es gab fast dreimal so viele Haftbefehle wie im vergangenen Jahr und auch viel mehr Festnahmen“, berichtet eine Sprecherin des Ermittlungsausschusses und faßt zusammen: „Die Linie ist wesentlich härter als in den beiden vergangenen Jahren.“ Die niedrige Eingriffsschwelle für die Polizei, die Schönbohm im Vorfeld des 1. Mai angekündigt hatte, läßt sich nicht nur an den nüchternen Zahlen der Festnahmen und Haftbefehle ablesen. Schon Kleinigkeiten genügten bei den diesjährigen Veranstaltungen, damit die Beamten eingriffen: TeilnehmerInnen der Demonstration gegen „rassistische Innenpolitik“ am 3. Mai sehen sich mit Anzeigen wegen Vermummung konfrontiert, weil sie Transparente in Gesichtshöhe getragen haben sollen. Auf dem Straßenfest in der Kreuzberger Körtestraße wurden gar um den Bauch gebundene Kapuzenpullover als potentielle Vermummung beschlagnahmt und die Personalien der Betroffenen aufgenommen.

Den in der Antirepressionsarbeit engagierten Gruppen, denen es vor allem an Geldern fehlt, geht es nun darum, die Inhaftierten nicht allein zu lassen. Für den morgigen Dienstag ist eine Demo zum Moabiter Untersuchungsgefängnis geplant. Außerdem werden Anzeigen gegen Polizeibeamte gesammelt, um gemeinsam gegen Rechtsverstöße von Beamten vorzugehen. Tobias Singelnstein