Schwarzes Schaf verstärkt Krise im braunen Haufen

■ Der verkehrspolitische Sprecher der FPÖ setzt sich mit Millionenbetrag ins Ausland ab. Während die Wirtschaftspolizei fahndet, läuft FPÖ-Chef Jörg Haider die Partei aus dem Ruder

Wien (taz) – Jahrelang hatte Jörg Haider verkündet, spätestens 1999 werde er ins Wiener Bundeskanzleramt einziehen. Jetzt scheint dem Rechtspopulisten und seiner Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) das Prahlen vergangen zu sein. So erklärte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Ewald Stadler, die FPÖ könne „locker“ bis zum Jahr 2009 in Opposition bleiben. Solche Bescheidenheit kommt nicht von ungefähr: Die sieggewohnte FPÖ steckt in ihrer tiefsten Krise, seit Haider vor zwölf Jahren die Parteiführung übernahm.

Schuld daran sind Leute wie Peter Rosenstingl, der seit dem 28. April, als er nicht von einer Auslandsreise zurückkehrte, spurlos verschwunden ist. Der 46jährige Verkehrssprecher der FPÖ im Nationalrat und stellvertretende Parteichef in Niederösterreich wurde blitzschnell seiner Parteiämter enthoben. Der Grund für die Eile: Die Wirtschaftspolizei sucht Rosenstingl wegen Verdachts auf schweren Betrug. Denn der erfolgreichen Steuerberater soll sieben Millionen Mark mit auf Reisen genommen haben. Blauäugige Anleger, denen eine Rendite von 25 Prozent versprochen worden war, hatten dem Funktionär hohe Beträge anvertraut. Allein der Ring Freiheitlicher Wirtschaftstreibender, der Unternehmerverband der FPÖ, hat Forderungen von zwei Millionen Schilling – 300.000 Mark – gegen den verstoßenen Parteisohn.

In Brasilien vermuten Insider Rosenstingl. Dorthin soll er glänzende Geschäftsverbindungen haben. Nach Moskau, spekuliert eine Tageszeitung, die ihn mit der Russen- Mafia in Verbindung bringt.

Während sonst straffällig gewordene Parteifreunde beharrlich gedeckt werden, kündigte Parteichef Jörg Haider, auf Reisen im fernen Taiwan, an, daß er selbst am Dienstag im Nationalrat die Aufhebung der parlamentarischen Immunität des Verdächtigen beantragen werde. Vor der Abstimmung kann der Haftbefehl nicht wirksam werden. Die Eile ist verständlich, trifft die Affäre doch eine Kernkompetenz der FPÖ, nämlich die Skandalaufdeckung.

Die Partei würde sich leichter tun, jede Verantwortung von sich zu weisen, wenn der niederösterreichische Parteichef Bernhard Gratzer nicht schon im vergangenen Dezember von einem Parteifreund in der Volksbank Alpenvorland einen Hinweis auf strafbare Umtriebe Rosenstingls bekommen hätte. Haider selbst wurde vor vier Jahren gewarnt, daß in der FPÖ Niederösterreich unsaubere Geschäfte liefen. Statt den Vorwürfen nachzugehen, ließ er den Denunzianten seiner Parteiämter entheben. Offenbar wurden die Machenschaften aus gutem Grunde gedeckt: Einige der zehn Firmen, an denen Rosenstingl beteiligt ist, sind eng mit den Parteifinanzen verstrickt.

Der Rosenstingl-Skandal folgte nahtlos auf ein wahres Massaker unter den FPÖ-Größen in Salzburg. Im Handstreich hatte Haider Ende April alle 700 Parteifunktionäre im Land Salzburg absetzen lassen. Deren Chef, Karl Schnell, hatte eigenmächtige Personalentscheidungen getroffen. Schon jetzt hat die FPÖ Schwierigkeiten, den durch ihr rasantes Wachstum entstehenden Personalbedarf aus zuverlässigen Leuten zu decken. über Nacht 700 treue Parteisoldaten zu finden wäre schier unmöglich gewesen. Deswegen kehrte der mit Rücktrittsdrohungen daherpolternde Jörg Haider in einer nächtlichen Sitzung dann doch den gütigen Vater hervor. Doch auf eine Selbstkritik der Schuldigen, wie sie dem maoistischen China alle Ehre gemacht hätte, wollte er nicht verzichten. „Wir haben uns kindisch benommen. Unser Bundesobmann hat uns die Chance gegeben, noch einmal vernünftig zu werden“, bekannte Schnell zerknirscht nach dem Tribunal und tat des Guten fast zuviel: „Ich weiß bis heute nicht, warum wir gestritten haben, und entschuldige mich für den Kummer, den wir der Partei bereitet haben.“ Haider selbst, der keine hochkarätigen Kronprinzen an seiner Seite heranzieht, verglich sich mit Gulliver, den die Liliputaner niederzubinden versucht hätten.

Nicht mit ihm. Ähnliche Säuberungsaktionen in Tirol und Kärnten waren von Leuten ausgelöst worden, die dem Parteichef Führungsschwäche oder mangelnde Motivation nachgesagt hatten. In Kärnten wurde darüber hinaus ein Lokalpolitiker, der einem zweisprachigen Kindergarten für die slowenische Minderheit zugestimmt hatte, verstoßen.

Nicht einmal die lange vorbereitete Gründung einer Freiheitlichen Gewerkschaft am 1. Mai brachte den erhofften Aufwind. Die erste Arbeitnehmervertretung außerhalb des allmächtigen ÖGB besteht vor allem aus Polizeibeamten und ist nicht kollektivvertragsfähig. Kein Wunder: Erstes Mitglied wurde Haider selbst, und der ist nicht Arbeiter, sondern millionenschwerer Unternehmer. Ralf Leonhard