Erfolgreich wandelnde Einkaufstüten

■ Rasant, ironisch, poliert: Stefan Moskovs Gershwin-Revue „Blau in Blau“ im Thalia Theater

Wunder geschehen im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. In Europa noch eine kleine graue Maus, mutiert das Tierchen in Amerika zur großen bunten Mickeymaus. Und der gerade noch finster dreinblickende Pastor verwandelt sich in einen fröhlich singenden Prediger, der gleich im Einwanderungsbüro das Steppen lernt.

Wunderland Amerika. Dort wird alles besser, alles gut. Mit viel Humor läßt Blau in Blau den amerikanischen Traum wieder aufleben, der Anfang des Jahrhunderts Millionen europäischer Immigranten über den großen Teich schwappen ließ. Stefan Moskovs rasante und ironische Revue, von sieben Schauspielern und sechs Jazzmusikern im Thalia Theater präsentiert, sprüht vor Sprachwitz und Situationskomik. Die Jazzstandards von George Gershwin sind frisch poliert und immer ein bißchen gegen den Strich gebürstet.

Der Untertitel „George-Ger-shwin-Geburtstags-Session“ weckt zunächst falsche Erwartungen. Denn vom 1898 in Brooklyn geborenen Komponisten stammt zwar die jazzig groovende Musik, doch über sein Leben erfährt man rein gar nichts. Dafür um so mehr vom Lebensgefühl der Immigranten im New York der Jahrhundertwende bis in die dreißiger Jahre – wodurch Gershwin als Sohn jüdisch-russischer Einwanderer vielleicht treffender charakterisiert wird als durch irgendwelche eingestreuten biografischen Schnipsel.

„Back“, herrscht der Beamte im Immigrantenbüro alle Neuankömmlinge zurück, ob sie sich nun als wandelnde Einkaufstasche mit Beinen oder als Sigmund Freud ins Gelobte Land hineinschmuggeln wollen. Aber Amerika ist das Land der Wunder, und irgendwie kommen doch alle hinein. Jetzt gilt es, Erfolg zu haben – ob als Ketchup-Erfinder oder als Nummerngirl oder besser noch: als Millionär, der einst Tellerwäscher war. Mit Versatzstücken des amerikanischen Traums jonglieren die Darsteller vor Fred-Astaire-Pappfiguren und Fotos aus Hollywoodfilmen und werfen sich die Bälle im Pingpong-Chor rhythmisch zu: Sempras, Agassi, Eastside, Westside, Microsoft, Softporno.

Auch Scheitern ist inbegriffen. Zur traurigen Ballade „But not for me“ führen drei Frauen simultan vor, wie die unglückliche Sängerin ihrem Leben ein Ende setzen könnte. Auf einem Hochhaus, im Hintergrund das glitzernde Lichtermeer von Manhattan, treffen sich gleich sechs potentielle Selbstmörder. Die sich dann aber doch lieber entscheiden, in love zu fallen statt in die Tiefe. Mit liebevoll-ironischem Blick, in einem Sprachenkauderwelsch aus Englisch, Deutsch und Italienisch zeichnet Moskov diese Stehaufmännchen-Mentalität nach, den unverwüstlichen Optimismus, der der Neuen Welt bis heute nachgesagt wird. Und macht Lust darauf, daß auch hier und heute mal ein paar Wunder geschehen. Karin Liebe