„Ich war nie ein Morgenmuffel“

Schon nach dem Aufstehen fühlt sich Leonie Werner heute wie gerädert. Die Sozialpädagogin lebt seit drei Jahren mit der seltenen Krankheit Chronic Fatigue Syndrome  ■ Von Lisa Schönemann

„Ich war nie ein Morgenmuffel“, betont Leonie Werner *. Die Sozialpädagogin war es gewohnt, in aller Frühe aus dem Bett zu springen und um die Alster zu joggen. Bis 1994 arbeitete sie in einem Jugendzentrum. Für die anderen sei sie stets „die Powerfrau“ gewesen. Jetzt fühlt sich die 34jährige schon nach dem Aufstehen wie gerädert. Manchmal kommt ihr der Weg bis in die Küche sehr lang vor. Denn Leonie Werner leidet unter dem chronischen Erschöpfungssyndrom.

Wenn sie im Schneidersitz auf ihrem Sofa sitzt, macht die junge Frau einen glücklichen Eindruck. Das fröhliche Gesicht, der unaufwendige Kurzhaarschnitt, die Ringelsocken – niemand würde hinter ihrer Erscheinung eine kranke Frau vermuten. Die 34jährige wirkt, als sei sie voller Tatendrang, und kann doch kaum zwei Becher Caro-Kaffee am Stück zubereiten. Die kleine Wohnung auf dem Kiez, die sie mit einer Freundin teilt, verläßt Leonie Werner zumeist nur für Arztbesuche. Die Joggingschuhe stehen seit drei Jahren im Schrank.

Daß sie so blühend aussieht, hat die Diagnose Chronisches Erschöpfungssyndrom (Chronic Fa-tigue Syndrome, CFS) nicht eben beschleunigt. Mehr als ein Arzt, der nichts finden konnte, gab ihr den zynischen Rat: Gehen Sie doch wieder arbeiten. Als ob das nicht ihr sehnlichster Wunsch wäre, seit sie aus der Jugendarbeit aussteigen mußte. Überhaupt hat sie sich von Wartezimmer zu Wartezimmer geschleppt, um herauszufinden, was in ihren Körper gefahren ist.

Die rätselhafte Erschöpfung trat erstmals vor drei Jahren auf. Niemand konnte Leonie Werner einen Grund für ihre ständigen Schmerzen in den Lymphdrüsen und das anhaltende Gefühl einer schweren Grippe angeben. Termine bei einem Hämatologen führten so wenig zu einem Ergebnis wie der Untersuchungsmarathon in der Universitätsklinik Eppendorf oder der Aufenthalt in einer psychosomatischen Klinik. Lediglich ein Tropenmediziner, den sie gefragt hatte, ob sie ihr diffuses Krankheitsbild aus Neuseeland eingeschleppt haben könnte, sprach beiläufig vom CFS.

Der erste Versuch der Sozialpädagogin, eine CFS–Selbsthilfegruppe aufzusuchen, endete mit einem Schock. „Wie leben die Leute mit sowas“, wollte sie wissen. Zu dem Treffen kamen zwölf CFS-Patienten, die seit über zehn Jahren an der Krankheit litten. Ohne Umschweife erklärten sie Leonie Werner, vom Fahrradfahren werde sie bald nur noch träumen können. „Und ich wollte doch in drei Wochen wieder arbeiten“, erinnert sich die junge Frau an ihre aufkeimende Verzweiflung.

Ein Mitglied der Gruppe drückte ihr ein Faltblatt über die CFS-Erkrankung in die Hand. „Das hab' ich auf keinen Fall“, beschloß Leonie Werner. Beim zweiten Blick auf den Flyer entdeckte sie dann die Beschreibung brennender Augen, geschwollener Lymphdrüsen und eines anhaltenden Gefühls von Benommenheit. Das waren genau ihre Symptome ...

Als Leonie Werner die Diagnose chronisches Erschöpfungssyndrom anderthalb Wochen später an sich heranließ, hatte sie nur noch einen Gedanken: „Um Gottes Willen, ich will aus diesem bösen Traum wieder aufwachen.“ Wenn sie vormittags grübelnd im Bett liegt, ist die Erschöpfung stärker als der Wunsch, Musik zu hören. Auf der anderen Seite hat sie die Diagnose auch erleichtert. „Es gibt endlich einen Namen für das, was ich täglich erlebe.“ Etwas, das Angst und Depressionen erzeugt.

Parties oder Kinobesuche können sie nicht mehr aufmuntern. Nach einer Stunde ist sie so erledigt, daß sie sich weinend verkrümelt. „Die Krankheit ist wie ein Prozeß ständiger Trauerarbeit“, faßt Leonie Werner für viele chronisch Kranke zusammen, „der Abschied von liebgewonnenen Beschäftigungen wie Wandern oder Lesen ist unglaublich bitter. Manchmal kann ich es vor seelischen Schmerzen kaum aushalten, wenn Freundinnen berichten, wie stressig ihr Job gerade sei.“

Wenn es ihr besser geht, bringt sie es auf drei oder vier Stunden pro Tag, in denen sie sich bewegen und um den Haushalt kümmern kann. Mitunter ist sogar eine Viertelstunde Gymnastik drin. Leonie Werner ist bei einer Homöopathin und einer Kinesiologin in Behandlung. Die meiste Kraft erfordert die Auseinandersetzung mit der Krankenkasse, dem Arbeitsamt und der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte. „Als mir der zuständige Sachbearbeiter riet, einen Rentenantrag zu stellen, habe ich ihm einen Vogel gezeigt“, erinnert sich Leonie Werner. Inzwischen weiß sie, daß genau das auf sie zukommt.

* Name von der Redaktion geändert.