It's a date – Verabredung in Teheran

■ Überraschung! Salman Rushdie und Faradsch Sarkuhi zu Gast in der Akademie der Künste: Eine Solidaritätsveranstaltung am 65. Jahrestag der nationalsozialistischen Bücherverbrennung

Was für eine Geheimheit! Seit Tagen hatten sich die immer zahlreicher werdenden Eingeweihten hinter mehrfach vorgehaltenen Händen zugeflüstert: Rushdie kommt! Sarkuhi auch! Die Sache war so geheim, daß noch auf dem Podium der Akademie der Künste die Namensschilder der Überraschungsgäste fehlten. Dabei verrieten die Sicherheitskontrollen am Eingang, die lange Verzögerung, bis es endlich losging, und die kräftigen Männer mit Stöpsel im Ohr eigentlich schon alles.

Derart in einer abgeschirmten Halböffentlichkeit zu agieren ist Teil von Salman Rushdies Schicksal, und so war der Saal auch nicht ganz gefüllt. Rushdie dankte den versammelten Kollegen für die intakte Solidarität qua Anwesenheit: dem Akademiepräsident György Konrád als Gastgeber und Günter Grass, dem dänischen Publizisten Niels Barfoed, Hüseyin Erdem, dem Vorsitzenden des kurdischen PEN mit Sitz in Köln, dem Präsidenten des Writers in Prison Committees des internationalen PEN, Moris Fahri, einem Mann mit exakt der Haarpracht und Barttracht von Karl Marx. Anwesend auch der algerische Schriftsteller Mohamed Magani und der Exiliraner Said. Alle hielten sie lange, flammende, wichtige und richtige Reden über die Bedeutung des freien Wortes und die Rolle der Schriftsteller im „Kampf gegen die Tyrannei“. Nur Said machte es kurz und lud Rushdie zu einem Tee in seinem Lieblingscafé in Teheran ein, wenn es einmal möglich sei, dort gefahrlos zu sitzen. Rushdie nahm an: „It's a date!“

Auch das gehört zu Rushdies Schicksal: Wo er auftaucht, herrschen Solidarität und Zustimmung. Verständlich ist sein Wunsch, nicht immer nur einverständig über Verfolgung zu sprechen, sondern über Erinnerung, Kindheit, Lernen, Geschichte, Haß, Liebe, über all das eben, worüber Autoren normalerweise streiten. Es reiche nicht aus, den Unterdrückern zu demonstrieren, daß man trotz ihrer Todesdrohung nicht schweige. Man müsse so sprechen, wie man auch ohne ihre Drohung spräche, sonst hätten sie ja bereits Erfolg.

Alle Verfolgungen von Autoren, alle Inhaftierungen, Folterungen und Morde seien, so Rushdie, nicht nur schrecklich, sondern banal. Es gehe dabei doch letztlich immer nur um zwei Worte: „Shut up!“ Deshalb sei es wichtig, die Werke der Verfolgten zu lesen, „damit ihre Stimmen nicht leiser werden“. Vielleicht bestehe der grundsätzliche Dissens ja auch nur darin, daß es Leute mit und solche ohne Humor gibt. „Ich bin froh, auf der Seite derer mit Humor zu stehen“, sagte Rushdie und wünschte Ajatollah Chomeini fröhlich in die Hölle: „Ich hoffe, es ist dort warm.“ Daß es sich bei der von Chomeini ausgerufenen Fatwa gegen ihn um ein „Todesurteil“ handle, wollte er nicht akzeptieren. Das klinge so rechtmäßig. Man solle sich angewöhnen, von einem Mordaufruf zu sprechen.

Mit der Solidaritätsveranstaltung „Über die Verfolgung von Schreibenden“ am 65. Jahrestag der nationalsozialistischen Bücherverbrennung beendete die Akademie der Künste ihre Mitgliederversammlung. Initiiert hat sie Günter Grass, der erst am Vortag wieder in die Akademie eingetreten ist. 1989 hatte er sie aus Prostest verlassen, weil man aus Sicherheitsgründen eine Veranstaltung mit Rushdie verweigerte. So war dieser Sonntagvormittag mit Rushie eine späte Wiedergutmachung und Grass' persönliche Wiedereintrittsfeier. Er zögerte nicht, seine Paulskirchen-Kritik an der Bundesregierung zu erneuern: „4.000 Menschen, die kein Verbrechen begangen haben, sitzen in Abschiebehaft, und einige werden in den Selbstmord getrieben. Wir haben uns daran gewöhnt, daß wir diesen Akt der Barbarei in einem Rechtsstaat vollziehen. Das ist gravierender, als wenn es in einer Diktatur geschieht.“

Ansonsten begnügte Grass sich damit, Texte Erich Kästners, Kurt Tucholskys und Oskar Maria Grafs vorzulesen – Autoren, deren Werke am 10. Mai 1933 von Goebbels „den Flammen übergeben“ wurden. Der Ungeist von damals, sagte Grass mit Verweis auf die Wahlen in Sachsen-Anhalt, sei noch immer lebendig. Der erst vor wenigen Tagen in der Bundesrepublik eingetroffene iranische Autor Faradsch Sarkuhi meinte, schlimmer noch als Bücherverbrennungen sei es, wenn Autoren ihre eigenen Bücher in der eigenen Wohnung vernichten müßten, weil sie Beweis sein könnten für ein Todesurteil. Er dankte für die erfahrene internationale Unterstützung, die seine Freilassung aus der Haft ermöglichte: „Schriftsteller in unseren Ländern brauchen dringend Ihre Unterstützung.“ Das Akademiepublikum dankte mit warmem Applaus zurück, erleichtert, wenigstens gelegentlich etwas bewegen zu können in der Welt. Jörg Magenau