Indien testet Atomsprengköpfe

■ Die neue hindunationalistische Regierung macht ihre angekündigte neue Atomwaffenpolitik wahr. Pakistans Regierung verurteilt indische Atomtests scharf und beruft Sondersitzung ein

Neu-Delhi (AFP/AP/rtr/taz) – Indien hat gestern um 12.15 Uhr MESZ drei unterirdische Atomtests vorgenommen. Wie Regierungschef Atal Behari Vajpayee in Neu-Delhi auf einer eiligst einberufenen Pressekonferenz mitteilte, fanden die begrenzten Tests in Pokhran, 330 Kilometer südwestlich der Hauptstadt Neu-Delhi, statt. Dort im überwiegend aus Wüste bestehenden Bundesstaat Rajasthan war auch Indiens bisher einziger offiziell bekanntgegebener unterirdischer Atomtest im Mai 1974 durchgeführt worden.

Radioaktivität sei bei den gestrigen Tests nicht freigeworden, versicherte Vajpayee. Bei den getesteten Bomben handele es sich um Kernspaltungs- und thermonukleare Sprengsätze. Nach Angaben von britischen Wissenschaftlern erreichten die Atomtests die Stärke eines leichten Erdbebens. Das britische Geologische Institut erklärte in London, es hätte nahe der pakistanisch-indischen Grenze eine Erschütterung der Stärke 4,7 auf der Richterskala registriert. Premier Vajpayee beglückwünschte ausdrücklich die indischen Wissenschaftler zu ihrem erfolgreichen Experiment. Fragen von Journalisten beantwortete er nicht.

Der Außenminister des indischen Nachbarn und Rivalen Pakistans verurteilte die Atomtests scharf. Ayub Khan forderte in Islamabad die Staatengemeinschaft auf, Indien zu verurteilen. Die Regierung in Neu-Delhi zwinge sein Land in einen Rüstungswettlauf, warnte Khan. Der Außenminister kündigte an, die Regierung werde noch am Montag in einer Sondersitzung über die pakistanische Reaktion entscheiden. Pakistan hatte erst Anfang April den erfolgreichen Test der Mittelstreckenrakete Ghauri verkündet. Auch Pakistan gilt als atomares Schwellenland, das in der Lage sein könnte, Atomwaffen zu bauen.

Neu-Delhi und Islamabad haben den Atomwaffensperrvertrag und das Atomteststopp-Abkommen nicht unterzeichnet. Die von der hindunationalistischen BJP geführte neue indische Regierung hatte bereits im Wahlkampf erklärt, sich die Option auf Nuklearwaffen offenz halten. Sie werde nicht zögern, Indien mit Atomwaffen auszustatten, wenn dies zur Wahrung von „Sicherheit, territorialer Integrität und Einheit“ notwendig sein sollte. Die USA haben Indien wiederholt vor Atomtests gewarnt und auch Islamabad zur Zurückhaltung aufgefordert. Indien und Pakistan haben in den letzten 50 Jahren dreimal gegeneinander Krieg geführt. In Indien mehren sich auch die Töne, die von einer wachsenden Bedrohung durch China sprechen. Peking hat einen Großteil seines nuklearen Potentials in Tibet stationiert. han