Richter-Streit um Volksbegehren

■ Zwei Richter stimmen für Volksbegehren Wohnen / In einer elfseitiger Begründung kritisieren sie Mehrheitsurteil des Gerichts / Mietervereine ärgert „völlige Entmündigung“ der BürgerInnen

Die Kritik von zwei Richtern des Bremer Staatsgerichtshofes am Urteil zum Volksbegehren Wohnen ist in Bremen auf Zustimmung gestoßen. Wie berichtet, hatte die Mehrheit des Staatsgerichtshofes das Volks-Votum über den Verkauf landeseigener Wohnungen abgelehnt, weil es angeblich die Finanzhoheit von Senat und Bürgerschaft berührt und etwa eine Milliarde Mark an erhofften Einnahmen blockieren würde. Mit dem Argument „Verstoß gegen die Finanzhoheit“ waren bereits 1997 zwei Volksbegehren abgeschmettert worden, die Bremen Geld gekostet hätten.

Im Gegensatz dazu fiel das Votum der Richter diesmal aber nicht einhellig aus. Vizepräsident Alfred Rinken und der Richter Ulrich Preuß stimmten gegen fünf Kollegen und lieferten eine elfseitige Begründung mit zum Teil heftiger Kritik an dem Mehrheitsurteil.

In ihrem zentralen Vorwurf sagen die beiden Richter, das Volksbegehren verstoße nicht gegen den Haushaltsvorbehalt der Landesverfassung. Der Gesetzgeber hat ihrer Meinung nach 1994 den Rahmen zum Volksbegehren verändert, um die Einflußmöglichkeit des Volkes zu verbessern. Wenn nun aber Volksbegehren stets an der Finanzhoheit von Parlament und Senat scheitern, „konterkariert“ dies den Sinn eines Volksbegehrens und „enttäuscht“ die Erwartungen der Bevölkerung, so die Begründung. Um das zu verhindern, müsse der Artikel  70 Absatz  2 der Landesverfassung, an dem das Volksbegehren scheiterte, enger ausgelegt werden.

Dabei kommen Rinken und Preuß zu dem klaren Schluß, daß Volksbegehren sich nicht „unmittelbar“ auf den Haushalt oder dessen Planung auswirken dürfen. Das vorliegende Volksbegehren würde dies aber nur „mittelbar“ beeinflussen, da der Senat noch keine konkreten Pläne zu einem weiteren Gewoba-Verkauf habe. Darum solle mit dem Volksbegehren lediglich ein wohnungs- und sozialpolitischer Rahmen gesetzt werden. Einer solchen „Fremdbestimmung“ seien die Haushaltsgesetzgeber auf Landes- und Gemeindeebene ohnehin ausgesetzt – etwa durch Bundesvorgaben. Außerdem sagen Rinken und Preuß, müsse die Bürgerschaft auch in dem Fall ihren Haushalt ausgleichen, wenn sie selbst neue Ausgaben beschließe. Diese Pflicht hätten sie auch bei einem Volksentscheid.

Ralph Kampwirth von dem Verein „Mehr Demokratie“ begrüßte gestern gegenüber der taz diese Haltung von Rinken und Preuß. „Es zeigt, wie fragwürdig das Urteil des Staatsgerichtshofes tatsächlich ist. Wir freuen uns darüber, daß sich zumindest zwei der Richter gegen die weitere Verschärfung zu Lasten der Volksdemokratie gestellt haben.“ Zugleich bekräftigte er aber seine grundsätzliche Kritik an dem Mehrheitsurteil. „Der Volksentscheid hat sich damit erneut als Papiertiger erwiesen. Solche Politikverbote entmündigen die Bürger.“

Noch deutlicher wird der Verein „Mieter helfen Mietern“. Dort heißt es in einer Erklärung: „Der Staatsgerichtshof billigt die Verschleuderung bremischen Vermögens.“ Grund: Nach der Gewoba-Steuer-Bilanz belief sich der wirtschaftlich relevante Wert zum 31.12.1996 auf 3,87 Milliarden Mark, so der Verein. Der Senat hat aber bereits einen 25-Prozent-Anteil an die landeseigene Hibeg zur Weiterveräußerung für 220 Millionen Mark verkauft. Dazu der Vereinsvorsitzende Herbert Thomsen: „Der Investor, der dafür ein Viertel der Gewoba kauft, bekommt somit 770 Millionen Mark realen Anlagewert geschenkt.“ Jens Tittmann