„Ich glaube, mich boxt der Papst“

■ Hertha-Mitgliederversammlung kuscht vor dem Kapitalgeber Ufa, der in der nächsten Bundesligasaison 15 Millionen Mark vorschießen soll. Kein Mißtrauensvotum gegen Aufsichtsrat

Die Mitgliederversammlung von Hertha BSC im vollbesetzten Saal 3 des ICC glich einer spiritistischen Sitzung. Stets wurde ein Mann beschworen oder verdammt, der nicht anwesend, aber dennoch allgegenwärtig war: Robert Schwan, Vorsitzender des Aufsichtsrates des Vereins und damit formell die Nummer eins in der Klubhierarchie.

Der 76jährige hatte mit einer PR-wirksamen Strafpredigt Mitte April in München Trainer Jürgen Röber eigenmächtig entlassen wollen, dafür trachteten ihn nun 420 stimmberechtigte Herthaner vor den 124 Augen sensationsheischender Medienvertreter mit einer Schlammschlacht abzustrafen.

Manager Dieter Hoeneß, beileibe kein Schwan-Spezi, versuchte gleich zu Beginn der Marathonsitzung am Montag abend, potentielle „Königsmörder“ zu besänftigen. „In jeder Familie wird gestritten, und dann rauft man sich wieder zusammen.“ Mit dem Auslöser des Konflikts habe er kurz vor der Tagung noch Kontakt aufgenommen, und der Berggeist aus Kitzbühel beauftragte Hoeneß kundzutun, daß „Hertha mir zur Herzenssache geworden ist“.

Aufsichtsrat Klaus Fehrmann machte in seinem Bericht das fortgeschrittene Alter des in der Kritik stehenden Ober-Herthaners für die „unglückliche Situation“ von München verantwortlich. „Altersbedingt sind wir mit besonderem Beharrungsvermögen ausgestattet. Bitte haben Sie etwas Geduld.“

Dann verdeutlichte Manager Hoeneß – Senilität hin, Altersstarrsinn her –, daß es ohne Schwan nicht gehe. „Er ist ein ganz wichtiges Bindeglied zu unserem Investor Ufa“, womit er die Hand in die klaffende Finanzwunde des Vereins legte. Zwar konnte der Schuldenstand binnen Jahresfrist um 1,4 auf nunmehr 6,5 Millionen Mark gedrückt werden, aber damit ist kein Staat zu machen. „Wir benötigen zusätzliche Investitionen“, rief Hoeneß. Fast alle Herthaner nickten, und die Opposition, die Mißtrauensanträge gegen Schwan stellen wollte, fing an, ihre Papiere zu zerknüllen.

Den meisten Anwesenden war plötzlich bewußt, daß Hertha den Querulanten aus Kitzbühel braucht, um dem Werbepartner weitere Millionen abzuknöpfen. „Schwan berät die Ufa im sportlichen Bereich“, drohte Präsident Manfred Zemaitat, der befürchtet, daß der Wille des Werbepartners aus Hamburg gering sei, weiteres Geld für den Klub zu geben, falls Schwan auf der Vollversammlung Federn lassen sollte.

Die Zahlen sprechen jedoch für sich: Seit Einstieg der Ufa in den Verein (1994) schoß die Bertelsmanntochter schätzungsweise 20 Millionen Mark vor. 15 weitere Millionen sollen in der nächsten Bundesligasaison fließen, damit Hertha BSC seinem Ziel Europacup wieder ein Stück näherkommt.

Nur Wolfgang Holst (76), der als früherer Präsident für viele Hertha-Skandale verantwortlich war, dachte für Sekundenbruchteile an Scheidung. „Ich höre immer, ohne Schwan geht es nicht. Ich glaube, mich boxt der Papst. Hertha hat sich zu einer schönen Frau entwickelt, die schon manchen Liebhaber hatte.“ Dann wandte sich der Gastronom zum Höhepunkt der spiritistischen Sitzung direkt an den absenten Schwan. Den Blick zur Hallendecke gerichtet, sprach er: „Robert, ich weiß, du hörst übers Handy mit. Wir sind gleich alt, uns kann beiden was passieren. Auch dann muß es mit Hertha weitergehen.“

Am Urgestein des Vereins nagt der Zahn der Zeit. Holst ließ – wie zwei weitere verhinderte „Königsmörder“ – den Dolch im Gewande und zog sein Mißtrauensvotum gegen den Aufsichtsratschef zurück. Hertha BSC hatte seinen Kotau vor dem mächtigen Kapital gemacht. „Wes Brot ich ess', des Lied ich sing'“, lautet seit Dienstag die erste Strophe des Hertha-Liedes.

Um das entflammte Revoluzzer-Mütchen nicht sinnlos verpuffen zu lassen, knöpfte sich das blau- weiße Fußvolk zwei andere Sündenböcke vor. Kaum war das Thema Schwan vom Tisch, stürzte sich Mitglied Axel-Michael Buggert verbal auf das schwächliche Präsidenten-Duo Manfred Zemaitat und Jörg Thomas. „Das Handlungschaos hat einen Doppelnamen – Zemaitat und Thomas“, giftete Buggert gegen die beiden, die sich in der Röber-Affäre wie Marionetten in der Hand von Strippenzieher Schwan bewegten. Nur knapp gewann das sichtlich nervöse Tandem das eingebrachte Mißtrauensvotum. Doch aus dem Denkzettel der Basis könnte Ende Mai, wenn der Aufsichtsrat tagt, die Ablösung der präsidialen Chaoten werden. Jürgen Schulz