Die Todestrafe bleibt in Lettland Gesetz

■ Das Parlament in Riga votiert gegen die Abschaffung der Kapitalstrafe. Außenminister spricht von katastrophalem Signal. Auch die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts wird hinausgezögert

Stockholm (taz) – Die Bemühungen der lettischen Regierung, das Land aus der Schußlinie der Kritik von West und Ost herauszunehmen, sind dabei, vom Parlament sabotiert zu werden. Am Montag abend stimmte eine Mehrheit der VolksvertreterInnen dagegen, die Todesstrafe abzuschaffen. Überdies droht das mit soviel Vorschußlorbeeren bedachte neue Staatsbürgerschaftsrecht, auf die lange Bank geschoben zu werden.

Schon 1995 hatte Lettlands Regierung dem Europarat versichert, die Todesstrafe werde umgehend aus dem Strafrecht entfernt werden. Das Ganze sei nur eine Formsache. Nachdem sich diese „Formsache“ bereits drei Jahre hinzog, hatte der Europarat kürzlich gedroht, Lettland müsse mit einem Wiederausschluß rechnen, sollte das Versprechen nicht umgehend eingelöst werden. Trotz dringender Mahnungen von Präsident Guntis Ulmanis lehnte eine Mehrheit des vorwiegend rechtsnationalistisch dominierten Parlaments in der entscheidenden dritten Lesung am Montag die Streichung der Todesstrafe ab.

Lettlands Außenminister Valdis Birkavs sprach von „einem katastrophalen Signal“, das nicht nur Lettlands Mitgliedschaft im Europarat gefährde, sondern auch seine Chancen auf baldige EU-Mitgliedschaft minimiere. Auch Brüssel hatte Riga wiederholt zur Abschaffung der Todesstrafe aufgefordert. Vollstreckt wurde ein Todesurteil zuletzt 1996. Zwei danach zum Tode Verurteilten droht derzeit noch die Vollstreckung. Die BefürworterInnen der Todesstrafe im Parlament hatten mit der starken Kriminalitätswelle argumentiert, die es nicht erlaube, ein solches „Zeichen der Schwäche“ zu setzen. Tatsächlich dürfte die jetzige Entscheidung der todesstrafen-freundlichen öffentlichen Meinung und den Parlamentswahlen im Oktober geschuldet sein.

Das gleiche gilt für eine andere Rechtsreform, welche die Regierung noch bis zum Beginn der parlamentarischen Sommerpause Ende Juli unter Dach und Fach gebracht haben möchte: die Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes. Den Gesetzesentwurf, der von der Regierung eingebracht wurde und zumindest einen Großteil der Kritiker aus Rußland und dem Westen zufriedenstellt, wollen starke Kräfte im Parlament offenbar so verzögern, daß er nicht mehr Gesetz und damit Wahlkampfmunition werden kann. Meinungsumfragen signalisieren, daß die Liberalisierung der Einbürgerungsmöglichkeiten für die russische Minderheit weithin unpopulär ist.

Der Finne Gunnar Jansson, der vom Europarat den Auftrag erhalten hatte, die lettische Regierung bei der Gesetzesreform zu „beraten“, äußerte in einem Interview mit der finnischen Tageszeitung Hufvudstadsbladet unlängst die Befürchtung, daß bei einer Verzögerung bis nach den Wahlen das Schicksal der Reform völlig ungewiß sei. Dabei ist laut Jansson auch der jetzige Entwurf nur ein erster Schritt, den Forderungen des Europarats nachzukommen. Das derzeit diskutierte Gesetz sieht eine automatische Einbürgerung für nach 1991 geborene Kinder russischer Eltern und eine Abschaffung der Jahrgangsquoten bei der Stellung von Einbürgerungsanträgen vor. Jedoch auch die Sprach- und Geschichtsprüfung müsse unbedingt erleichtert werden. „Sie ist so schwer, daß wohl nicht einmal eine Mehrheit der Abgeordneten sie bestehen würde“, sagt Jansson. Doch gerade die Sprach- und Geschichtsprüfung ist eine Symbolfrage und steht im Zentrum der Argumentation der lettischen NationalistInnen. West und Ost wollten Lettland seine nationale Identität rauben, ist ein zentrales Argument der NationalistInnen und verspricht nun auch ein Hauptthema im Wahlkampf zu werden. Reinhard Wolff