Der russische Präsident geht ins Netz

■ Jelzin gibt erstes Interview im Internet. An den Computer lassen ihn die Organisatoren jedoch nicht

Moskau (taz) – Auch im Arbeitszimmer des russischen Präsidenten steht seit langem ein Computer. Bisher sah man Boris Jelzin nicht daran arbeiten. Gestern endlich überwand der Kremlchef die Hemmschwelle Technik und ging ins Internet. Schließlich hatten Blair und Kohl ihr Netchat schon hinter sich, während Israels Premier Netanjahu längst die Vorzüge der gefahrlosen Kommunikation zu schätzen weiß. 35 Minuten hatten Surfer weltweit Gelegenheit, Jelzin auszufragen. Schauplatz: die Website http://www.gov.ru. 1.300 Fragen gingen ein, wovon der Präsident ein Dutzend auswählte. Mit sicherem Instinkt, welche Themen vor dem G-8-Gipfel am Wochenende ihm die nötige Aufmerksamkeit garantieren.

Eindeutig schloß Jelzin eine dritte Amtsperiode als Präsident nicht aus. „Noch sind es zwei Jahre bis zu den Wahlen, warten wir ab und schauen dann.“ Gerüchten über seine Gesundheit begegnete er sportiv und lud Zweifler zu einem Kräftemessen in den Kreml ein. Ob in Rußland eine Frau Chancen hätte, Präsidentin zu werden, schätzte der Patriarch realistisch ein. Noch sei Rußlands Gesellschaft dafür nicht reif.

Den kurzen Ausflug in die Virtualität begründete die Präsidialadministration mit Jelzins Naturell. Der Präsident habe Hemmungen, Schrittmacher in den „Computermoden“ zu werden. Seine ausländischen Amtskollegen hielten sich auch nur eine halbe Stunde im Net auf. Ein halbes Jahr hatte die US-Gesellschaft NBC Jelzin bedrängt. Jedoch, an die Tastatur ließ man ihn nicht heran. Auch ohne sein Zutun hegten die Organisatoren genug Bedenken, das Unternehmen könnte aus unvorhersehbaren Gründen scheitern. Klaus-Helge Donath