„US-Präsidenten sind für uns keine Ritter mehr“

■ Patricia Riekel, Chefredakteurin der Zeitschrift „Bunte“, zur Frage, warum die Deutschen einem Besucher aus dem Weißen Haus heute nicht mehr so entgegenfiebern wie noch zu Kennedys Zeiten

taz: Frau Riekel, der US-Präsident besucht Deutschland, und die „Bunte“ hat Steffi Graf auf dem Titel. Warum?

Patricia Riekel: Steffi Graf ist für uns in dieser Woche emotional spannender gewesen als Bill Clinton. Clinton war auch dieses Jahr schon mal auf einem Titel, als seine Sexaffäre publik wurde.

Beim Kennedy-Besuch war das anders. Damals überbot sich die deutsche Presse mit Cover-Fotos.

Kennedy hatte natürlich viel mehr Charisma. Er war ein Staatsoberhaupt, wie man es damals überhaupt nicht kannte: so jung, so zu Herzen gehend. Kennedy stand für einen Lifestyle. Und er war ein Symbol der freien Welt. Das war eine emotionalere Sache. Der Clinton-Besuch findet in einer sachlichen Atmosphäre statt, das ist fast wie ein Arbeitsbesuch.

Nixon war ein Schurke, Ford ein Langweiler, Carter ein Moralprediger. Haben US-Präsidenten in den Augen vieler Deutscher die Aura des Besonderen verspielt?

Der Glaube an die Unfehlbarkeit eines Politikers, an einen Präsidenten als moralische Instanz hat mit Sicherheit abgenommen. Aber das schließt nicht aus, daß ein Personenkult entstehen könnte, wenn ein schwungvoller Hoffnungsträger auftaucht.

Wie schneidet Clinton da ab?

Clinton ist gutaussehend, hat eine interessante Frau. Emotional ist er bestimmt spannender als Bush oder Carter. Und diese Sexaffäre hat die Neugier an seiner Person geweckt, das hat ihn menschlicher gemacht.

Was müßte denn Clinton während seines Besuchs unternehmen, damit er es doch noch auf ein „Bunte“-Cover schafft?

Nehmen wir an, Katja Riemann fällt ihm beim Abendessen um den Hals und sagt: Ich bewundere Sie. Davon ein Foto – das kann ich mir auf dem Cover vorstellen. Aber nicht, wenn er Götz George die Hand schüttelt. Ich seh' immer das Emotionale: eine schöne Frau und ein mächtiger Mann, das ist eine Kombination.

Kennedys „Ich bin ein Berliner“ wird bis heute zitiert. Reagan forderte 1987 Gorbatschow auf, die Mauer einzureißen. Kann sich Clinton in Berlin mit einem Satz fürs Geschichtsbuch profilieren?

Wenn in einer Krisensituation einer aufsteht und den Satz sagt, nach dem sich alle sehnen, dann berührt uns das. Aber die Krisen, die wir heute haben, sind innerdeutsche Probleme, die kann man von außen nicht lösen. Wenn Clinton nach Nordirland fährt oder nach Jerusalem, dann trifft er auf Probleme, die die Welt zur Zeit mehr faszinieren.

Und umgekehrt: Sind die Deutschen weniger vom einstigen Märchenland USA fasziniert?

Als Ritter, der uns zu Hilfe eilt, sehen wir US-Präsidenten nicht mehr. Als Kennedy kam, war das deutsche Bild von Amerika ja hauptsächlich von Filmen bestimmt. Für Teenager wie mich gab es diese wunderbaren Fernsehfamilien in ihren kleinen Dörfern und tolle Opas mit grauen Haaren. Jetzt kann man da hinfahren. Das Bild ist realistischer geworden.

Ein Western funktioniert nur, wenn der „good guy“ gegen einen „bad guy“ kämpfen kann. Mangelt es Bill Clinton an Glanz, weil ihm ein böses Pendant fehlt?

Nein, da gibt es zum Beispiel immer noch den Irak. Und vielleicht sind ja die „bad guys“ die Frauen, die ihn jetzt vorführen. Interview: Patrik Schwarz