■ Bill Clinton braucht anläßlich seiner Deutschlandvisite nicht wie frühere US-Präsidenten ein Bekenntnis zum "freien Berlin" abzulegen. Der Stellenwert eines Besuchs aus USA hat sich gewandelt - wie das Deutschlandbild der Amerikaner.
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Bill Clinton braucht anläßlich seiner Deutschlandvisite nicht wie frühere US-Präsidenten ein Bekenntnis zum „freien Berlin“ abzulegen. Der Stellenwert eines Besuchs aus USA hat sich gewandelt – wie das Deutschlandbild der Amerikaner.

Ein Jugendaustausch mit Folgen

Mendocino an einem sonnigen Frühlingsnachmittag: Ein großes graues Etwas steht am Straßenrand des Bilderbuchstädtchens an Kaliforniens Pazifikküste. Die Flaneure vor den Boutiquen und Lädchen, den Buchläden und Cafés unterbrechen ihren Spaziergang unter den Holzarkaden und versammeln sich vor diesem Ungetüm aus Stärke und Zweckmäßigkeit, aus prähistorischer Mächtigkeit und futuristischer Mechanik. Was da parkt und sich in diesem Hippie- Städtchen gänzlich deplaziert ausnimmt, ist ein schlachtschiffgrau gestrichener Mercedes-Laster. Ob Spezialanfertigung oder Umbau – es handelt sich offensichtlich um eine Mischung aus Geländewagen und Campmobil. An den Seiten sind Benzinkanister sowie Axt und Schaufel, vorne und hinten deutsche Nummernschilder angebracht. „The Panzers are here“, kommentiert eine Frau lachend.

Das Ding sieht in der Tat eher wie ein Panzerspäh- denn wie ein Wohnwagen aus. Die deutschen Weltenbummler haben das Fahrzeug über den Atlantik gebracht und sind damit schon durch Süd- und Mittelamerika gefahren. Die Stimmung unter den Gaffern ist ausgelassen wie auf einem Jahrmarkt. „Wir sind beeindruckt“, sagt ein junger Mann, „so was gibt es hier nicht.“

Und ungefähr so wie die Kalifornier in Mendocino zu dieser Demonstration überlegener deutscher Technik, so stehen viele Amerikaner zu Deutschland insgesamt: voller Bewunderung und ein bißchen kopfschüttelnd über die deutsche Art des Auftretens. Natürlich gibt es das US-amerikanische Deutschlandbild nicht. Da gibt es das Deutschlandbild der politischen Klasse und der kulturellen Elite, und da gibt es das der Massen – mindestens diese beiden sollte man unterscheiden.

Und doch gibt es übergreifende Charakteristika, die Deutschland in den Augen der meisten Amerikaner ausmachen. „Deutschland, das sind die Nazis und der Holocaust, zugleich aber auch Ingenieurleistung, Zuverlässigkeit und Sauberkeit.“ In seinem im August in Deutschland erscheinenden Buch „Das deutsche Dilemma“ referiert der Politologe und Deutschlandkenner Andy Markovits einige der gängigen Witze über Deutschland. „Deutschland ist wiedervereinigt, schon gehört?“ fragt der Komiker Jay Leno sein Publikum. „Fragt sich nur, wann es wieder auf Tournee geht...“

Der abwechselnd dümmliche oder niederträchtig böse, immer aber schneidig auftretende SS-Offizier gehört zur Grundausstattung zahlloser Fernseh- und Kinostreifen. Viele Amerikaner kennen Deutsche nur aus solchen Filmen. Und doch scheint das wenig Einfluß auf das Bild zu haben, das sich Amerikaner von den Deutschen machen. Anläßlich einer 1995 an der Harvard-Universität veranstalteten Konferenz zum Thema „Germany in the American Mind“ untersuchte Andy Markovits Meinungsumfragen seit den 50er Jahren bis heute. Ergebnis: Zwei Drittel der Amerikaner haben ein positives oder sehr positives Deutschlandbild, Amerikaner befürworteten im Verhältnis vier zu eins die deutsche Wiedervereinigung, und fast die Hälfte der Amerikaner sprechen Deutschland die Rolle einer Führungsmacht zu.

Auf die Frage, wie aus erbitterten Kriegsgegnern „partnerschaftliche Führungsmächte“ (Präsident George Bush) werden konnten, gab Vernon Walters, US-Botschafter in Deutschland zur Zeit der Wiedervereinigung, der taz folgende Antwort: „Fünf Millionen junge US-Soldaten haben seit Ende des Zweiten Weltkrieges in Deutschland gedient. Das ist der größte Jugendaustausch in der Geschichte der Menschheit.“

So führen die Erinnerungen an den Holocaust und das Bild des demokratischen Deutschland fast voneinander unabhängige Existenzen, die sich nur da berühren, wo von der Feindschaft noch die Bewunderung vor der militärischen und technischen Leistung des Feindes übrigbleibt.

An John F. Kennedys „Ich bin ein Berliner“ (1963) erinnern sich auch junge Leute, die Kennedy nicht mehr erlebt haben. Und an Ronald Reagans „Herr Gorbatschow, reißen Sie diese Mauer ein“ (1987) erinnern sich selbst Schüler, die kaum noch wissen, daß da mal eine Grenze mitten durch Deutschland und Berlin lief.

Daß Deutschland das eigentliche Schlachtfeld des Kalten Krieges war, das wissen sogar jene, die kaum noch wissen, um was es dabei eigentlich ging. Die Sache mit der Verteidigung der Freiheit in Deutschland war in den USA immer eine staatlich verordnete und staatliche vermittelte Pflicht. Eine Mehrheit, die bereit war, den Atomkrieg für einen bedrängten Freund zu riskieren, gab es immer nur für den Fall eines Angriffs auf England. Die Siegesfeier am Ende des Kalten Krieges jedoch hatte den Zuschnitt der Parade auf der New Yorker Fifth Avenue vom Mai 1945. Als die Berliner Mauer fiel, versammelten sich die Menschen vor den am Times Square aufgestellten Monitoren. Von den anschließenden Ereignissen bis zur Wiedervereinigung berichtete das US-Fernsehen dann, als sei Deutschland „ein amerikanischer Bundesstaat“ (Vernon Walters).

Der größte Wandel im Deutschlandbild nach der Wiedervereinigung hat mit der Rolle Deutschlands in der internationalen Politik weniger zu tun als mit dem Niedergang des „Modell Deutschland“. Lag die Bewunderung für den Wiederaufbau nach dem Krieg ganz auf der Linie der Anerkennung für die Tüchtigkeit des ehemaligen Feindes, so waren, wie Markovits beobachtet, die Errungenschaften der sozialen Marktwirtschaft und des Sozialstaats Amerikanern eher Anlaß, ihr eigenes kapitalistisches Modell in Frage zu stellen. Sollte nicht auch ein sanfteres, mitfühlsameres Amerika (Bush) möglich sein?

Seit Deutschland aber mit Arbeitslosenzahlen von nahezu fünf Millionen geschlagen ist, macht sich in der amerikanischen Berichterstattung über den europäischen Sozialstaat unverhohlene Schadenfreude bemerkbar. Es ist, als wollten die Medien ihren Lesern und Zuschauern sagen: Das konnte ja nicht gutgehen. Der Ab- und Umbau des Sozialstaats in den USA findet vor dem Hintergrund seines Niedergangs in Deutschland statt – befreit von jenem schlechten Gewissen, das die bloße Existenz der deutschen Alternative Amerikanern zeitweilig eingegeben hatte. Peter Tautfest, Washington