■ Kolumne
: Im Supermarkt

Als ich mich gegen Ende letzten Jahres anläßlich einer Jahresrückblicksumfrage für einen „besten Club“ Hamburgs entscheiden mußte, hätte ich fast „Toom-Markt Altona“ angegeben. An kaum einem anderen öffentlichen Ort Hamburgs höre ich so oft Lieblingsstücke. Aber ist ein Supermarkt ein „Club“? Mit „Laden“ oder „Lokal“ könnte man sich vielleicht noch durchschwindeln. Aber die Exklusivität eines Clubs steht dem Konzept eines Supermarkts irgendwie genau entgegen. Ich entschied mich schließlich fürs „Blaue Barhaus“, an den richtigen Tagen hört man da sowieso noch mehr Lieblingsstücke.

Die Leistungen des Toom-DJs will ich dennoch nicht ungewürdigt lassen. Der Berieselungssound in Supermärkten verdient bekanntlich im allgemeinen die Bezeichnung „Musik“ nicht und ist dementsprechend ja oft auch Objekt wüster Verschwörungstheorien über die Manipulation der Massen seitens des Großkapitals. Und natürlich kann man auch bei Toom klassischen Muzak hören. Doch dann läuft auf einmal ein schicker Bacharach-/David-Klassiker in der amtlichen Dionne-Warwick-Version oder Prefab Sprout, Laura Nyro, The Smiths und neulich sogar „Come As You Are“ von Nirvana!

Nirvana im Supermarkt – ahnte Kurt Cobain dieses Schicksal seiner Lieder voraus und schied deshalb aus dem Leben (daran glaube ich eher als an die misogyne Böse-Witwe-Theorie, die derzeit diskutiert wird)? Aber das wäre zu kurz gedacht, armer Kurt: „Come As You Are“ führt garantiert nicht dazu, daß Toom-Kunden Toaster oder Quarkspeisen kaufen, die sie eigentlich nicht benötigen. Es wirkt eher ein klein wenig verstörend, etwa so wie die Trinker auf dem Parkplatz und die scharfen Blicke der Security-Leute.

Es sind aber gar nicht mal die verzerrte Gitarre und die Punk-Attitüde Cobains, die diese Verstörung auslösen. Prefab Sprout und Laura Nyro machen die Kundschaft anscheinend nicht weniger nervös. Als ich über dieses Phänomen nachgrübelte, fiel mir einer meiner eigenen DJ-Abende ein, als ich zusammen mit dem heutigen Studio Bach-Star Matthias Strzoda unter dem Markenzeichen Balladeers & Troubadours im „Sorgenbrecher“ auf St. Pauli alte Singer/Songwriter-Platten und exzentrische Pop-Produktionen auflegte. Wir hatten einen freundlichen Barkeeper an diesem Abend, aber als wir mit unserem Programm durch waren und der Feierabend eingeläutet wurde, schien eine unendlich große Last von ihm abzufallen, er legte eine House-Cassette ein und freute sich sichtlich, nicht mehr von unserer Musik belästigt zu werden. In diesem Moment dachte ich: Klar – das ist die hohe Informationsdichte der Songs, die wir ausgesucht hatten. Ein gut zweiminütiges Laura-Nyro-Lied enthält sicher nicht weniger Informationen als ein zwölfminütiger House-Track (wobei Informationsdichte nicht zwingend ein Qualitätsmerkmal ist).

Wer ist aber dieser DJ, der hippe Hits mit klassischer Be-rieselungsmusikmischt (bei der ich natürlich nicht weiß, ob sie nicht womöglich von Brian Eno oder Sven Väth ist)? Ganz investigativer Reporter, fragte ich den Toom-Marktleiter, der mich mit Handschlag be-grüßte (was mich zunächst überraschte, aber vielleicht war ihm bewußt, daß ich seit der Eröffnung einer seiner treuesten Kunden bin). Und bekam die erstaunliche Auskunft, daß es eine professionelle Supermarkt-Berieselungsmusik-Firma ist, die sich diese subversiven Ausfälle erlaubt. Nicht etwa die berüchtigte Muzak Corporation – „die waren das früher mal“ –, aber eine Firma, die dasselbe Terrain beackert. Alle Toom-Märkte erhalten zur selben Zeit dieselbe Musik.

Was aber muß das für ein Gefühl sein, Muzak-Programme zusammenzustellen und dabei Laura-Nyro-Fan zu sein, armer Toom-DJ? Freust du dich deiner subversiven Möglichkeiten, oder leidest du und spielst mit dem Gedanken, dir eine Schrotladung ins leidende Gehirn zu jagen?'