taz-Debatte: Die GAL-Abgeordnete Susanne Uhl antwortet auf Innensenator Hartmuth Wrocklage (SPD)
: Maßstab: Stammtisch

■ Susanne Uhl (31) ist Mitglied der grünen Bürgerschaftsfraktion und gehört zum linken Flügel der GAL. Sie war von Anfang an eine Rot-Grün-Skeptikerin und stimmte auch gegen den Koalitionsvertrag. Mit ihrem Beitrag reagiert sie auf einen am Montag erschienenen Debattentext anläßlich der Mandatsniederlegung der GALierin Anna Bruns. Innensenator Hartmuth Wrocklage (SPD) hatte darin erklärt, Bruns' Rücktritt werfe „ein Schlaglicht“ auf die grüne Gemütslage. „Regierungsfähigkeit ist für manche in der GAL och immer ein Dilemma.“ Anna Bruns' Positionen „sind politisch, aber sie sind nicht Politik“, so Wrocklage. Er stehe zu seiner St.-Georg-Politik, Polizeieinsätze seien unverzichtbar.

Es ist soweit. Hartmuth Wrocklage hat aufgeschrieben, warum sich das, was er für Politik hält, nicht verändert hat und auch nicht verändern wird.

Wir sollen um die Erkenntnis nicht mehr umhinkönnen, daß unser Innensenator nicht nur deshalb in puncto Abschiebungen und law-and-order von Bayerns CSU-Beckstein nahezu ununterscheidbar ist, weil er es schlicht für die richtige Politik hält. Nein. Die Wahrheit ist übergeordnet. Er dürfte nämlich – so die Essenz des Textes – selbst dann nicht anders handeln, würde er diese Politik für falsch halten. Denn sowohl das, was Verantwortung sei, wie auch das, was als Politik gelten darf, habe einen wesentlichen Maßstab: den Stammtisch.

Schlimmes Tun rechtfertigt sich damit, vermeintlich Schlimmeres zu verhindern. Dieses als unabweisbar anzuerkennen, das und nur das sei Politik. Und nur wer das verstanden hat, sei politisch handlungsfähig. Wer dies nicht anerkennt oder gar verändern möchte, ist – so Wrocklages Logik – antidemokratisch und gefährlich. Denn dem Stammtisch applaudiere indirekt, wer dessen Thesen argumentativ entgegentritt und für eine Veränderung der Situation derjenigen streitet, gegen die sich der Stammtisch wendet. Stammtischthesen entgegenzutreten könne zwar – so Wrocklage – politisch korrekt sein, aber hierin liege die Gefahr: Der dauernde Anspruch auf „political correctness“ lähme Politik. Warum? Weil sie den Verantwortungs-ethiker Wrocklage beim schnellen Entgegenkommen und Vollzug der Stammtischforderungen hemmt?

Schuld wäre also, wer die Umsetzung von Menschenrechten oder die Gleichbehandlung aller, die hier leben, fordere und durch sein Wenden gegen die staatliche Repression auf die soziale Spaltung der Gesellschaft dazu beitrage, die DVU-Wahlergebnisse in bisher unerreichte Höhen zu treiben.

Keine Zeile verschwendet Wrocklage daran, die eigene geschlossene Gedankenwelt mit Erfahrungen aus dem persönlichen Erleben oder aus der gesellschaftlichen Auseinandersetzung abzugleichen. Wann jemals hat es funktioniert, jemandem klarzumachen, daß er oder sie auf dem falschen gedanklichen Dampfer ist, wenn durch persönlichen Rat oder Handeln Dritter genau dies Bestätigung erfährt? Warum sollte der Stammtisch sich dadurch zu einer Auseinandersetzung mit den eigenen Positionen herausgefordert sehen, wenn diese Positionen durch staatliches Handeln umgesetzt werden?

Die Auseinandersetzung um die Flüchtlingsunterbringung in Flottbek zeigt auf bedrückende Weise: Die teilweise pauschale Gleichsetzung von Flüchtlingen mit Drogendealern und Kriminellen ist auch ein Ergebnis der Kampagne um Innere Unsicherheit und der immer repressiveren ordnungspolitischen Reaktion. Ist es denn so schwer, den Zusammenhang herzustellen zwischen der eigenen Politik – auch Ihrer Politik, Herr Wrocklage – und den Stammtischen?

Die Hegemoniefähigkeit eines anderen gesellschaftlichen Klimas hat nur in der kontroversen politischen Auseinandersetzung eine Chance. Wer gesellschaftlich etwas anderes will, muß dies sowohl in der auch schroffen Zurückweisung von Stammtischparolen wie auch in konkreter parteilicher Politik deutlich machen. Gegenüber Flüchtlingen, gegenüber all denjenigen, die in der St. Georg-Drucksache als Problem ausgemacht werden: „Obdachlose, Alkoholiker, Drogenkonsumenten und –dealer und Prostituierte“.

Aber in Wrocklages Gedankenwelt erübrigt sich fast alle Argumentation, denn auf dieser Grundlage wird der Innensenator niemals verstehen können, warum die St. Georg-Drucksache hart kritisiert werden muß. Und zwar ganz egal, welche Metapher für das Papier verwendet wird.

Die vermeintliche Geschlossenheit von Wrocklages Politikvorstellung erklärt Gerechtigkeit, Solidarität und Menschenwürde zu illegitimen Kategorien von Politik und deshalb als Handlungsmaximen einer Regierung als untauglich.

Kein Wort davon, daß es Gerechtigkeit, Gleichheit, Solidarität, die Achtung der Menschenwürde und –rechte sind, die konstitutiv für eine entwickelte und zivilisierte Gesellschaft sind und erst recht für staatliches Handeln sein sollten. Und daß sie immer wieder erkämpft, erstritten, eingeworben werden müssen. Darin liegt die Verantwortung von Politik, von GALlischer Politik, aber auch einer solchen, die von sich behauptet, sozial und demokratisch zu sein.

Solange Sie – mit Verlaub, Herr Wrocklage – auf die ohnehin zweifelhaften Prototypen von Gesinnungs- und Verantwortungsethik zurückgreifen müssen, die noch nicht einmal Max Weber selbst so puristisch auf die Wirklichkeit überträgt, solange Sie also auf Typen zurückgreifen müssen, um Ihr Tun zu rechtfertigen, sollten Sie aus dem reichhaltigen Weberschen Angebot auf einen für Sie angemesseneren zurückgreifen – vielleicht auf den des entmenschlichten Bürokraten.