Ein loyaler Arbeitgeber

■ Buchhalterin soll 1,9 Millionen Mark Umsatzsteuer zum Vorteil des Möbelhauses Sander hinterzogen haben/ Dort steht der Chef weiter hinter der Angestellten

Im Möbelhaus Sander sitzt Carmen M. für gewöhnlich im Zentrum der Macht. Am vergangenen wie auch am heutigen Donnerstag saß die 55jährige Chefbuchhalterin der „Wohnwelt“ stattdessen auf der Anklagebank im Amtsgericht. Ihr wird vorgeworfen, im Interesse der Bremer Firma Umsatzsteuer hinterzogen zu haben. Über die Jahre 1992 bis 1996 summierte sich der Betrag auf rund 1,9 Millionen Mark – so die abschließende Bilanz des Betriebsprüfers vom hiesigen Finanzamt. Er deckte den Fehler in der Buchhaltung auf, hinter dem die Staatsanwaltschaft einen Trick argwöhnt, mit dem die Möbelfirma finanziell „flüssig“ gehalten werden sollte. Einem Fachgutachten zufolge soll es dem Möbelhaus in der fraglichen Zeit nicht gut gegangen sein. Im Extremfall drohen der Angeklagten, die seit 22 Jahren für Sanders arbeite, fünf Jahre Haft – womit Prozeßinsider allerdings nicht rechnen. Die Firma hat die Steuerschuld bereits verzinst zurückgezahlt.

Wie konnte das passieren – war es bewußte Manipulation zugunsten der Firma oder menschliches Versagen als Folge von Überlastung? Auf die richterliche Suche nach einem Motiv liefern ZeugInnen und Angeklagte nur vermittelt Antworten: Da wird die Angeklagte einerseits als der „Kopf von Buchhaltung und Personalwesen“ hoch gehandelt – andererseits will genau diese hochzuverlässige Fachkraft, die „keinen Tag im Jahr fehlt“, nie erkannt haben, daß bei gleichbleibend guten oder sogar gestiegenen Umsätzen die Steuerlast eher noch schrumpfte – um eine runde halbe Million pro Jahr.

Magie? Diese Frage stellte sich im Hause Sander angesichts der schrumpfenden Überweisungen ans Finanzamt niemand. Die Angeklagte nicht, weil sie die Zahlen lediglich zusammenstelle – aber nicht interpretiere. Dafür bliebe allenfalls am Wochenende Zeit, sagte sie – doch dies sei ihr heilig. Wie hätte sie die Schieflage also erkennen können, zu der es nach der Umstellung der Buchhaltung vor allem aufgrund neuer Automatismen in der EDV gekommen sei?

Auch Firmenchef Chef Horst Sander schützt die Angestellte: „Buchhalter ist ja kein kreativer Job.“ Auch er habe den Fehler nie bemerkt. In Bilanzen will er nur auf Gewinn-und Verlust geschaut haben. „Darauf kommt's doch an.“ Erst als der Betriebsprüfer nach der niedrigen Umsatzsteuer fragte, „ist es mir wie Schuppen von den Augen gefallen.“ Und hätte ihn nicht sein Steuerberater auf derartiges aufmerksam machen müssen?

Vom Steuerberater hat sich der 64jährige Möbelkaufmann Horst Sander, zugleich Chef zahlreicher miteinander verbandelter Subunternehmen, inzwischen getrennt. Von der Buchhalterin nicht. „Sie gehört zu den zehn Prozent in der Belegschaft, ohne die ich die übrigen 90 Prozent nach Hause schicken könnte“, sagt der Zeuge. Natürlich habe es geschmerzt, die zwei Millionen Mark Umsatzsteuernachzuzahlen. Sauer sei er gewesen aber das Vertrauen zur Angestellten bestehe dennoch weiter, zumal diese sich internen Nachforschungen zufolge niemals auf eigene Rechnung bereichert habe. „Bewußte Vorteilnahme fand nicht statt“, konstatiert Sander. „Und warum sollte jemand in die Höhle des Löwen gehen, ohne einen Vorteil davon zu haben?“

Der Richter bohrt: „Es sei denn, sie hätte den Vorteil durch Sie bekommen.“ Sander nickt. „Die Frage mußte ja kommen.“ Aber da sei nichts gewesen. „Gar nichts.“ Im übrigen habe man im Unternehmen Konsequenzen aus der Überlastung der Mitarbeiterin gezogen, ihr Prokura und Bankvollmacht entzogen und das Buchhaltungssystem so geändert, daß steuerpflichtige Posten nicht wieder als steuerfrei verbucht werden können. ede