Selig zu machen ... ... alle!

■ 1848 in Bremen: Eine Ausstellung im Staatsarchiv würdigt feministische Demokratin Marie Mindermann

Wer dieser Tage das Bremer Staatsarchiv aufsucht, tritt „Schutz und Gewährleistung der Arbeit“ mit Füßen. Aber keine Angst: Diesmal ist es nur ein am Boden gestrandetes Flugblatt, noch dazu historisch, 19. Jahrhundert. Eine viertel Kopfdrehung weiter: Aus einer muffigen Kiste windet sich mühsam die Deutschlandfahne. Die drei Stoffbahnen stammen von Karstadt. Zusammengenäht sind sie nicht. Was nicht richtig zusammengewachsen ist – die Republik, damals, 1848 – gehört auch nicht zusammen. In diesem Ambiente lebte und lebt Marie Mindermann – und zwar in zwei Versionen: mal jung und frisch, mal mit 58 Jahren schon uralt. Die schmalen Lippen sind notdürftig versüßt durch ein Drumrum von zopfigem Haaraufbau und weißem Spitzenkragen. Das Fleisch darunter ist fest geschnürt – in Schwarz.

Für Elisabeth Hannover vom mobilen, sporadischen „Bremer Frauenmuseum“ ist die Dame mit dem nach Feminismus schreienden Nachnamen Bremens interessanteste weibliche Gestalt des 19. Jahrhunderts. Und das, obwohl sie sich ihre demokratischen und feministischen Meriten erwarb, indem sie ein Wesen der Gattung Mann unterstützte. Es hieß Dulon, war Pastor an der Liebfrauenkirche, und setzte die Bibel ein wenig untypisch ein, nämlich als Waffe für eine gerechtere Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums. „Der Sozialismus ist nach unserer wohlbegründeten Überzeugung die Kraft Gottes, selig zu machen Alle...“ Nicht anders als Marx oder Heine enttarnte er die etablierte Kirche als herrschaftstabilisierendes Lügengespinst: „Ich will die Priester entlarven, die die Hungerleider auf die Herrlichkeit des Himmels vertrösten.“

Nachdem die schlimmsten Auswüchse der 48er Revolution – Pressefreiheit, freies Wahlrecht ohne Standesgrenzen – endlich beseitigt waren, entledigte sich der Bremer Senat natürlich auch dieses unliebsamen Predigers. Ganz leicht war das aber nicht. Denn zu dieser Zeit wurde den Gemeinden das Recht zugebilligt, selbst basisdemokratisch ihre Pastoren zu wählen. Doch die Theologische Fakultät Heidelberg half gerne weiter mit einem Gutachten, das die Untragbarkeit des revolutionären Pastors bestätigte.

Trotzdem war Dulons gnadenlose Entlassung in die Armut (fortan führte er ein unsicheres Leben in Helgoland, England und Amerika) nach kirchenrechtlichen Gesichtspunkten nicht ganz koscher. Das wußte Marie Mindermann; wußte es, obwohl ihre Schulkarriere mit 13 Jahren beendet war, obwohl ihr Traum nach einer Lehrerinnenausbildung von der Mutter zum Platzen gebracht wurde. Seit 1848 nämlich schwenkte ihre Lesevorliebe um: von schöner Literatur hin zu Zeitungslektüre. Und die macht bisweilen – der taz-Leser weiß das – klug und politisch. Eigenschaften, die Marie Mindermann mit acht Tagen Kerker in der Ostertorwache bezahlen mußte.

Ihre Straftat? Sie unterstützte Dulon mit mehreren Streitschriften. Die waren zwar anonym. Als aber Dulon als Verfasser verdächtigt wurde, outete sich die Mindermann – und erntete Unglauben. Bis zum Ende des Gerichtsverfahrens war der zuständige Richter nicht von Mindermanns Urheberschaft zu überzeugen. Muß denn im kleinen Kopf einer Frau nicht jeder eigenständige Gedanke schmächlich ersticken? Die Antwort auf diese Frage war klar. Und ein klitzeklein wenig gab der weitere Verlauf der Geschichte den Reaktionären und Frauenverachtern sogar Recht: Nach dem Wegzug von Pastor Dulon findet man im Werkverzeichnis der Mindermann nur noch Blumigkeiten: „Heide und Moos“ 1854, „Feldblumen“ 1860, „Buntes Laub“ 1863, „Sagen der alten Brema“ 1867. „Eine Zeitlang war sie ganz erfolgreich und in Häkelzirkeln gerne vorgelesen“, meint Hannover.

Doch der betuliche Eindruck trügt. Die Mindermann entschied sich für den Marsch durch die Institutionen, gründete in Bremen eine Dependence des gesellschaftlich akzeptierten Frauenbildungsvereins, der allerdings aus Mangel an Nachfrage nach drei Jahren schließen mußte, und organisierte die beliebten „Sonntagabendunterhaltungen“ mit wissenschaftlichen Vorträgen. Bildung, Religion und das Einschmelzen der Standesunterschiede bildeten für sie ein untrennbare Einheit. Nicht ganz ausgeschlossen, daß hinter allem eine sexuelle Unangepaßtheit stand. Der Tod des Vaters erlaubte Mindermann die Freiheit, mit einer Freundin zusammenzuziehen. Die Durchschnittsfrau ihrerer Zeit allerdings verachtete sie als „ewig gedankenlose Papageien der Männer.“ bk

Die Marie-Mindermann-Ausstellung bis 26. Juni im Staatsarchiv. Musikalisch-literarische Abende zu 1948: 19. Mai, Staatsarchiv, und 26. Mai im Brauhauskeller auf dem Gelände des Bremer Theaters. Stadtrundgänge zur Biographie Marie Mindermanns: 19. Mai, 10 Uhr, 27. Mai um 15.30 Uhr, 9. Juni um 10 Uhr. Treffpunkt ist jeweils der Roland. Weitere Informationen über das Begleitprogramm gibt's unter 211359