■ Schnittplatz
: Hetze der Hochkultur

Deutsche Medien, die sich nicht an der Ästhetik dicker Lettern und dürrer Inhalte orientieren, hatten viel zu verkraften in den letzten Jahren. Verloren Quote, Auflagen, Ansehen, überhaupt: Interesse. Seither versuchen's selbst Fernsehmagazine wie „Aspekte“ oder Blätter wie die Zeit gefälliger und verständlicher – zumindest wenn es um Phänomene geht, bei denen die Masse den Ton angibt. Doch all die Mühe, sich dem Pop in der Gesellschaft zu nähern, hat kaum genützt, weil deutsche Kulturjournalisten die Masse immer noch fürchten. Die öffentliche Kultur derer, die etwas weniger vom hergebrachten Bildungskanon intus haben, sie bleibt von ihnen unverstanden: Guildo Horn zum Beispiel ist für sie nichts als Party.

Im ARD-„Kulturreport“ erkannte Tilmann Jens in den Fans, die den Trierer Sänger nach Birmingham begleiteten, nur Nachfahren der Bomberpiloten, die vor mehr als einem halben Jahrhundert Coventry in Schutt und Asche legten. Allein dadurch, daß sie eine Ansammlung deutscher Menschen ist, scheint diese Masse dem deutschen Kulturkorrespondenten immer noch zu jeder Schandtat bereit. Daß eine Fete kein festliches Abendessen ist: Darüber sich nicht zu mokieren fällt offenbar schwer. Das darf man Hetze der Hochkultur nennen – gegen Menschen, die geschmacklich sich so gar nicht der Welt von deren Apologeten unterordnen wollen. Schwitzende Begeisterung ist ihnen nichts als suspekt, die aufgebrachte Menge ist ihnen nach wie vor nichts anderes als ein Mob.

Auch so ein Beispiel: Dana International ist seit ihrem Sieg beim Grand Prix d'Eurovision in ihrer Heimat ein Idol wider die ultraorthodox Gläubigen. Die Popsängerin, noch vor Jahresfrist von Strenggläubigen mit Flaschenwürfen von der Bühne gejagt, ist ein Symbol für ein besseres Israel geworden. Selbst Netanjahu sah sich genötigt, ihr noch in der Siegesnacht zu gratulieren. Doch in unseren Medien fand sich über den säkularen Jubel – wenn überhaupt – nur Platz im Vermischten. Was hätte man eigentlich dazu gesagt, wenn der Fall Salman Rushdies im redaktionellen Kulturallerlei verhandelt worden wäre? Weil er nur ein Dichter ist und kein Politiker.Jan Feddersen