Zwei weitere Atomtests in Indien

Internationale Proteste zeigen in Delhi keine Wirkung. Indische Regierung kündigt jetzt Ende der Testserie an, US-Präsident Clinton verhängt Wirtschaftssanktionen  ■ Aus Delhi Bernard Imhasly

Weniger als 48 Stunden nach seinen drei Testversuchen hat Indien gestern morgen zwei weitere Atomtests durchgeführt. Der dürren Regierungserklärung zufolge wurden die beiden Sprengsätze kurz vor neun Uhr wieder bei Pokharan in der Thar-Wüste in Rajasthan gezündet. Die Testserie sei damit beendet und Indien sei nun bereit, bestimmte Bestimmungen des Abkommens über das Atomtestverbot anzunehmen, hieß es.

Zur Begründung für die Versuche, die trotz der internationalen Proteste fortgeführt wurden, sagt die Regierung, daß diese wichtige Daten für Computersimulationen bereitstellen, die subkritische Experimente erlauben sollen. Die Sprengkraft habe unterhalb einer Kilotonne gelegen. Wie am Montag sei keine Radioaktivität in die Atmosphäre entwichen.

Mit seinem zweiten Coup ist Indien den Wirtschaftssanktionen zuvorgekommen, die US-Präsident Bill Clinton nur einige Stunden später in Potsdam nach einem Treffen mit Bundeskanzler Helmut Kohl verkündete. „Die Atomversuche fordern von den USA eine deutliche Antwort“, sagte Clinton. Der Schritt Indiens sei „ein schrecklicher Fehler“. Nach einem US-Sanktionsgesetz von 1994 entzog Clinton Indien die Wirtschaftshilfe, die jährlich rund 164 Millionen Dollar beträgt. Ausgenommen sind Lebensmittelhilfe und Lieferungen aus humanitären Gründen. Clinton verfügte auch einen Exportstopp für Produkte militärischer Nutzbarkeit und eine Einstellung von US-Krediten. Auch würden die USA keine Kredite für Indien vom Internationalen Währungsfonds (IWF) oder der Weltbank mehr unterstützen. Indien erhielt bisher über 40 Milliarden Dollar von der Weltbank. Demnächst stehen Kredite von 1,9 Milliarden Dollar zur Diskussion.

Kohl sagte, die Bundesregierung werde die US-Sanktionen genau prüfen. Die französische Regierung hält die US-Sanktionen gegen Indien nicht für sinnvoll. Dies sei nicht die geeignete Methode, um Indien zur Unterzeichnung des Atomwaffensperrvertrags zu veranlassen, erklärte Regierungssprecher Daniel Vaillant gestern nach einer Kabinettssitzung. Notwendig sei vielmehr, „zu ermutigen, zu überreden, anzuregen, um zu vermeiden, daß sie so etwas wiederholt“. Japan und Schweden setzten gestern ihre Entwicklungshilfe für Indien aus.

Wiederum hat die Regierung Geheimhaltung und rasches Handeln zu ihren Verbündeten gemacht. Sie hat damit die internationalen Proteste und Strafmaßnahmen unterlaufen, die sich nach dem Überraschungsschlag vom Montag zu formieren begannen.

Die indischen Planer befanden sich offensichtlich in einem Dilemma: Einerseits wollten sie, um eine glaubwürdige nukleare Waffenkapazität zu entwickeln, möglichst viele Daten sammeln. Andererseits mußten sie damit rechnen, daß die Proteste bald so stark sein würden, daß das Land einlenken müsse. Im Gegensatz zu Frankreich, das seine Versuche 1995 ankündigte und den Proteststurm durchstand, wählte Delhi die Überraschung und Schnelligkeit.

Die gesamte Testserie war zweifellos von langer Hand geplant. Dennoch kam der Regierung zu Hilfe, daß die Proteste gegen die Versuche vom Montag zunächst nicht die von ihr befürchtete Intensität erreichten und weitere Tests verhinderten. Zwar hatten die traditionellen Atomgegner Japan, Australien und Neuseeland scharf reagiert, die letzteren beiden riefen gar ihre Botschafter zur Konsultation zurück. Andere wichtige Staaten dagegen gaben ihrer Ablehnung einen relativ gemessenen Ausdruck. Dies gilt auch für die USA, die zwar Sanktionen in Aussicht stellten, aber zugleich den für den Herbst geplanten Clinton-Besuch nicht annullierte. Nun hat Delhi Clinton erneut herausgefordert. Nur einen Tag nachdem er das Land aufrief, keine weiteren Versuche durchzuführen, wurden in Pokharan erneut zwei Sprengsätze gezündet. Wiederum scheint die allgegenwärtige Satellitenüberwachung versagt zu haben.