Trauer und Wut in Jakarta

In Indonesiens Bevölkerung wächst die Sympathie für die Studenten, die gegen die Regierung demonstrieren. Noch hält das Militär aber zu Präsident Suharto  ■ Von Jutta Lietsch

Bangkok (taz) – „Demonstriert weiter – bis wir wirkliche Reformen haben!“ Mit diesen Worten hat gestern der indonesische Oppositionspolitiker Amien Rais die Studenten aufgefordert, ihre seit drei Monaten anhaltenden Proteste fortzusetzen. Gestern versammelten sich Tausende an der Trisakti-Universität von Jakarta. Nach den Schüssen auf die Demonstranten am Tag zuvor, bei denen sechs Jugendliche starben und Dutzende verletzt wurden, herrschte Trauer und Wut auf dem Campus der Hochschule im Westen der Stadt. Ohne Vorwarnung hatten Polizeieinheiten mit scharfer Munition auf die demonstrierenden Studenten geschossen und zahlreiche verprügelt.

Der Politologe Amien Rais, Vorsitzender der muslimischen Muhammadiyah-Gemeinschaft mit etwa 28 Millionen Mitgliedern, hat sich in den letzten Wochen zum Sprecher der wachsenden Opposition in Indonesien gemacht. Er forderte erneut Präsident Suharto auf, „seine Haltung zu ändern, oder die Leute werden ihn zum Wandel zwingen“. Mit einer für sie ungewöhnlich feurigen Rede trat auch Megawati Sukarnoputri, die vor knapp zwei Jahren von der Regierung als Vorsitzende der Demokratischen Partei gestürzt worden war, in der Trisakti-Universität vors Mikrofon: Die Tochter des Staatsgründers Sukarno erklärte, es könne „nicht akzeptiert“ werden, daß „die Sicherheitskräfte auf die eigenen Leute schießen“.

Das Militär stehe nun vor der Wahl, rief Rais: „Es kann entweder Suharto und seine Familie verteidigen. Oder es kann das indonesische Volk verteidigen.“ Bislang allerdings gibt es noch keinen Hinweis darauf, daß die Armee bereit wäre, ihre Unterstützung für den Regierungschef aufzugeben – auch wenn Offiziere gestern privat sagten, sie „würden niemals auf die Studenten schießen“.

Amien Rais beschwört seit längerem eine friedliche „People power“-Bewegung, die Suharto wie den philippinischen Diktator Marcos vor zwölf Jahren aus dem Land treiben könnte. Doch die Opposition ist noch schwach und gespalten – obwohl Rais ankündigte, er werde eine Runde von religiösen, ethnischen und politischen Führern um sich scharen, um die Regierung zu Reformen zu zwingen. Vor allem die säkuläre Mittelschicht und chinesischstämmige Indonesier fürchten, daß Rais einen stärkeren Einfluß des Islam durchsetzen könnte. Auch eine Gruppe ehemaliger Generäle und Minister unter dem früheren Gouverneur von Jakarta, Ali Sadikin, hatte den Rücktritt Suhartos gefordert.

In der Bevölkerung wächst die Sympathie für die Demonstranten. Auch Studenten und Familienangehörige, die sich bislang nicht politisch engagiert hatten, beteiligten sich gestern an den Kundgebungen Zehntausender an der Trisakti- Universität und anderen Hochschulen in Jakarta, Bandung und anderen Städten. Der Vater eines Studenten erklärte: „Ich sage ihm, gehe und sage der Regierung, was sie falsch macht. Mach nichts kaputt, sage ich, aber geh.“

„Wenn Suharto vor zehn Jahren zurückgetreten wäre, würde er als Held gefeiert“, sagte ein indonesischer Geschäftsmann. „Aber jetzt nicht mehr.“ Voller Zorn reagierten viele auf die Behauptung der Behörden, die Polizisten hätten nur mit Gummikugeln geschossen. Ein Sprecher der Polizei hatte eine noch kühnere Erklärung abgeben: Die Studenten seien von ihren eigenen Kommilitonen zu Tode getrampelt worden. Teilnehmer der Demonstration zeigten Journalisten jedoch metallene Geschoßhülsen, die sie nach den Schüssen aufgesammelt hatten. Die staatliche Menschenrechtskommission, die sich eine gewisse Unabhängigkeit von der Regierung bewahrt, hat angekündigt, sie werde die Vorfälle untersuchen.