JVA-Prozeß
: Sehr labyrinthisch

■ Die Plädoyers im Knast-Prozeß

„Wer einmal angenommen hat, die einstige Altstadt Roms sei ein Labyrinth, der wird nach dieser Beweisaufnahme wissen, daß es im Haus III in der Untersuchungshaftanstalt Oslebshausen ein weiteres geben dürfte, bestehend aus der Subkultur bei der Insassenschaft und dem sozialen Geflecht zwischen Bediensteten und Gefangenen.“ Mit diesen Worten leitete Staatsanwalt Uwe Picard gestern im JVA-Prozeß sein Plädoyer ein. Ein Jahr und drei Monate auf Bewährung forderte er wegen gefährlicher Körperverletzung im Amt für die JVA-Beamtin Sandra B. Sie soll die Zellentüren von mutmaßlichen Sexualstraftätern aufgeschlossen haben, damit die vier mitangeklagten Häftlinge die Männer verprügeln konnten. Bei einer Strafe von über einem Jahr muß die Beamtin aus dem Dienst entlassen werden. Für drei der Häftlinge forderte Picard Freiheitsstrafen zwischen 13 und 19 Monaten. Ein Häftling soll freigesprochen werden, weil ihm eine Tatbeteiligung nicht nachgewiesen werden konnte. Der Mann hatte seine Unschuld von Anfang an beteuert. Sandra B. hätte „Selbstjustiz an den U-Häftlingen“ verübt und die mitangeklagten Häftlinge als „Werkzeuge“ benutzt, so Picard. Das müsse als schuldmildernd für die Häftlinge gewertet werden. Aufgrund der Vorstrafen seien Bewährungsstrafen jedoch unangemessen. Außerdem hätten die Häftlinge ihre Opfer zum Teil schwer verletzt.

Ausgerechnet der Anwalt des Nebenklägers, ein Sexualstraftäter, dem die Rippen gebrochen worden waren, verteidigte die prügelnden Häftlinge. An der Schuld der Angeklagten habe er keine Zweifel, sagte er. Es könne jedoch nicht angehen, daß man „die Kleinen hängt und die Großen laufen läßt.“ Der Prozeß habe viel über die Subkultur des Knastes zu Tage gefördert. Beamte hätten sich von Häftlingen Lederjacken und Schlagstöcke besorgt. Die Verantwortlichen für diese Subkultur säßen nicht auf der Anklagebank.

Der Staatsanwalt sei nicht auf die Frage eingegangen, ob die Beamtin – wenn überhaupt – ein „faules Rad“ sei oder „ob das ganze Getriebe faul“ sei, sagte auch der Anwalt von Sandra B. Er plädierte auf Freispruch. Seine Mandantin sei unschuldig. Sandra B. hätte die Zellentüren aufgeschlossen, ohne zu bemerken, was danach geschah. Der Beamte, der ausgesagt hatte, Sandra B. hätte unmittelbar vor den Prügeleien gesagt, sie würde das mit „den Kinderfickern regeln“, sage die Unwahrheit. Er hätte Sandra B. sexuell belästigt und würde sich jetzt für ihre Ablehnung rächen. Zudem gebe es starke Unklarheiten in Bezug auf die Tatzeit. Mal soll eine Zellentür am Morgen, mal am Nachmittag aufgeschlossen worden sein. Nachmittags hätte seine Mandantin keinen Dienst gehabt.

In der Tat gibt es auch nach 16 Verhandlungstagen viele Unklarheiten. Einen Häftling, der als Hauptbelastungszeuge galt, hält nicht einmal mehr die Staatsanwaltschaft für glaubwürdig. Ein Angeklagter, dem zu Prozeßbeginn Körperverletzung in mehreren Fällen vorgeworfen wurde, soll jetzt freigesprochen werden. Ein Labyrinth eben. kes