„Frauen wollen sich identifizieren“

■ „Pretty Woman“ und die Folgen: Was bedeutet es, wenn Frauen von Filmen berührt werden, die sie eigentlich bescheuert finden? Frigga Haug hat darüber ein Buch herausgegeben / Ein Interview

taz: In deinem kürzlich erschienenen Buch „Sündiger Genuß“ wird der Widerstreit angesprochen, in dem sich Frauen befinden, wenn sie von einem Film gerührt sind, über den sie sich eigentlich ärgern, weil er reaktionär oder frauenfeindlich ist. Geht es bei diesem Verhalten nur um einen Widerspruch zwischen Vernunft und Gefühl?

Frigga Haug: Den Widerspruch haben wir im Buch als eine theoretische Vorgabe eingeführt, weil wir als Frauen die Erfahrung machen, daß wir in Filmen, die wir objektiv scheiße finden, Vergnügen und Rührung erfahren. Schlaflos in Seattle und Pretty Woman, um die es im Buch geht, sind doch ausgesprochen frauenfeindliche Backlash-Filme. Solche Filmerfahrungen haben wir in dem Projekt, dessen Ergebnisstudie das Buch darstellt, anonymisiert niederschreiben lassen. Bei der Analyse der Texte sieht man sofort, daß es den Widerspruch gar nicht gibt. Er funktioniert bei uns also als heuristischer Trick. Die Frauen wählen wie zwischen hell und dunkel zwischen den möglichen Dimensionen: Jetzt bin ich mal zwei Stunden gefühlvoll. Wenn ich rauskomme, bin ich wieder vernünftig. Ich bin nicht, wie der Widerspruch nahelegt, beides zugleich, sondern ich bin es nacheinander. Wir wollten in dem Projekt den Kampfplatz von Gefühl und Vernunft untersuchen, aber den gibt es gar nicht. An der Kasse wird die Vernunft abgegeben, hinterher wird sie wieder aufgenommen. Solches Verhalten möchte ich nun gar nicht moralisch bewerten. Sondern ich denke, daß dadurch das Gefühl weniger tief und der Verstand leblos gemacht wird.

Warum kümmerst du dich jetzt um Film?

Seit mindestens sechs Jahren interessiere ich mich für den gesamten Bereich der Unterhaltung enorm. Ich habe erkannt, daß es borniert und elitär von mir war, diesen Bereich zu vernachlässigen und nicht der Untersuchung für wert zu halten. Ich habe nicht einmal gemerkt, daß ich selber gerne Unterhaltungsliteratur lese. Angestoßen wurde das durch Gramsci, der eine Analyse gemacht hat, warum die Menschen so gerne miese Fortsetzungsromane in Zeitungen lesen. Er hat dann die Literaten aufgerufen, bessere Unterhaltungsromane zu schreiben, statt vom Volk zu verlangen, es möge bessere Bücher lesen. Die Unterhaltungsliteratur ist ja nicht an sich blöd, bloß weil sie Spaß macht. Das Furchtbare ist, wenn sie die Menschen in ihren Wünschen und Hoffnungen gegen sich selbst organisiert. Wir selbst sitzen auch in der Schere, daß wir gegen die Soap-operas sind, aber nicht gegen die Frauen, die sie gucken. Hier kann man mit der im Projekt angewandten „Erinnerungsarbeit“ gut arbeiten, weil dadurch die Hoffnungen, die die Frauen in die Filme setzen, bejaht, und nicht verurteilt werden.

Was ist Erinnerungsarbeit?

Ich habe diese Methode für die feministische Forschung entwickelt. Es geht darum, Erfahrungen und Erinnerungen von Frauen nach neueren sprachanalytischen Dekonstruktionsmethoden so zu entschlüsseln, daß die Alternativen, die sie alle ausgeschlagen haben, und die Widersprüche, in die sie sich verwickelt haben, sichtbar werden. Mit der Erinnerungsarbeit wollten wir herausfinden, wie die Zuschauerinnen mit dem Filmstoff arbeiten, um auch einen Maßstab zu kriegen, welchen Stoff man vielleicht nicht so häufig anbieten sollte. Hier gehen wir anders vor als die modernen Filmtheorien, nach denen man ja noch nicht einmal mehr gute von schlechten Filmen unterscheiden darf. Nichts gegen theoretische Filmanalysen, aber mit der Erinnerungsarbeit wollen wir nicht etwas Wichtigeres oder Begründbareres, sondern etwas anderes: den einzelnen, die einen Film ansehen, eine Bewußtheit über ihre Sichtweisen zu vermitteln.

Aber das sind doch unwissenschaftliche Selbsterfahrungen.

Wieso? Der Unterschied ist, daß Selbsterfahrung eine Erzählung über sich ist, Erinnerungsarbeit aber die Analyse und die Arbeit mit der Erzählung. Übrigens hat in unserem Projekt auch ein Mann mitgearbeitet. In seinen – unter Pseudonym geschriebenen – Berichten hat man sofort den Mann erkannt. Das Vergnügen, während des Films über den Film zu reden, die Ästhetik des Films auseinanderzunehmen – im Fall von Pretty Woman etwa hat ihm die Prostituierte lediglich Vergnügen bereitet, während alle Frauen damit Probleme hatten, daß „ihre“ Heldin Prostituierte ist. An dieser einzelnen Geschichte sieht man die Geschlechterverhältnisse allgemein.

Und dieses Vergnügen soll auch von Frauen entwickelt werden?

Nein. Sie haben ja einen Genuß am Film. Aber sie haben ihn mit schlechtem Gewissen. Weil sie den Genuß so sehr abgetrennt haben von ihrem urteilenden, denkenden Verstand, daß er von vornherein als etwas Unerlaubtes auftritt, und der Verstand wiederum von vornherein wie eine meckernde Moral. Das ist ein ganz fürchterlicher Zustand. Denken muß doch auch Vergnügen machen und nicht an Stelle von Vergnügen stehen. Genuß kann doch mit etwas Vernünftigen zusammengehen, warum sollte es das Gegenteil davon sein?

Warum wird die angestrebte Zusammenführung immer mit Stärke gleichgesetzt? Liegt darin nicht auch Affirmation?

Eine schwierige Frage. So entschieden bin ich darin nicht. Ich denke, daß wir eine Widerspruchskultur entwickeln müssen, die es uns möglich macht, Widersprüche nicht gerade zu genießen, aber mindestens auszuhalten, statt sie zu verleugnen. Je älter ich werde, desto schwieriger, fürchte ich, ist das. Allerdings habe ich das nicht aufgegeben. Mein Ziel hier ist ein anderes: Die einzelnen sollen sich selbst bejahen, nicht die Gesellschaft. Ich bin bei meinen psychologischen Untersuchungen darauf gestoßen, wie unglaublich zerfallen Frauen als Persönlichkeiten sind. An der Hochschule für Wirtschaft und Politik, wo ich lehre, kriege ich mit, wieviel Not in den einzelnen steckt und wie mühsam sie sich zusammenreißen und jederzeit zu zerbrechen in der Lage sind. Ich denke, daß die widersprüchlichen Ebenen nicht in der Gesellschaft, sondern in den Personen von ihnen bewußt zusammengeführt werden müßten, statt daß sie ihnen unterliegen. Es ist überlebensnotwendig, daß die Persönlichkeit sich selbst „kohärent arbeitet“.

Ist es nur von Vorteil, dem gesellschaftlichen Kohärenzzwang nachzugeben? Liegen nicht auch in der Zerrissenheit Potentiale?

Die Gesellschaft hat keinen Kohärenzzwang, sie hat den Spaltungszwang, gerade für Frauen. Sie mutet den Frauen die Spaltung von Familie und Beruf zu und den, in sich selbst gespaltene Personen zu sein. Die Erinnerungsarbeit will Handlungsfähigkeit herstellen; der Gesellschaft ist es völlig schnurz, ob die einzelnen kohärent und handlungsfähig sind. Wer nicht handlungsfähig ist, fliegt raus: Die Klapsen sind völlig überfüllt.

Gibt es da ein „Früher, als alles besser war“?

Nein, eher eine Utopie: Würden die Menschen ganzheitlicher die Kräfte des Verstandes und des Gefühls einsetzen, würde beides unglaublich stark werden. Jede Vernunftkritik setzt da an, daß die Gesellschaft nach ausschließlich rationalen Gesichtspunkten produziert und daß dabei ganz viel abgespalten wird.

Welche Gefühle sollen denn gestärkt werden?

Das sind doch immer die gleichen, die Hoffnung, geliebt zu werden, und so weiter. Mir geht es darum, daß Gefühle gleichzeitig kritisch hinterfragt und bejaht werden. Das Problem mit diesen Hollywood-Schinken ist doch nicht, daß sie von den falschen Gefühlen handeln, sondern daß die Bilder, die sie vermitteln, nicht lebbar sind. In der Hinterfragung sollen die Bedingungen mitgestaltet werden, die sie lebbar machen. Gefühle können entwickelt werden. Wenn man Gefühle gleich als kitschig verneint, kann man sie nicht entwickeln. Dann kann man sie nur einsperren, . Ich sehe das nicht ganz so radikal wie Alexandra Kollontaj, die gesagt hat, die emanzipierte, neue Frau müsse raus aus dem Liebesgefängnis, die Liebe treibe sie dazu, sich dem Gefährten zu unterwerfen. Die neue Frau sei zuallererst frei wie der Wind und einsam wie das Steppengras. Ich habe das gelesen und dachte, ich will nicht einsam wie das Steppengras sein. Sie hat garantiert recht, die Analyse ist richtig, aber der Weg ist so nicht.

Wie ist denn der Weg?

Folgende Fragen müssen bearbeitet werden: Was müßten wir für Filme machen? Wie müßten Filme für eine feministische Kultur aussehen? In Anlehnung an Brecht nicht-identifikatorische Filme zu machen geht für Frauen nicht. Frauen wollen sich identifizieren, sie wollen sich einfühlen. Eine feministische Filmarbeit müßte von diesen Wünschen ausgehen. So wie die Jutta Brückner das macht, geht das nicht. Ich möchte keine elitären Vorschläge machen, für die Creme de la Creme der Feministinnen. Den Film Thelma und Louise fand ich schon sehr gut. Man identifiziert sich, ohne den Standpunkt zu verlassen, diskutieren zu können. Kürzlich dieser Lesbenfilm, When night is falling, den fand ich grauslich, nur die Frauen und die Bettwäsche waren schön.

Fragen: Janina Jentz und Ulrike Winkelmann