Braucht der Kiez kein Krankenhaus?

■ Alle wollen das Hafenkrankenhaus – nur die Gesundheitsbehörde nicht Von Clemens Gerlach

Die Zeichen des Protestes sind nicht zu übersehen. An vielen Häusern in St. Pauli prangen die Plakate, wurden kopierte Zettel an die Schaufensterscheiben der Geschäfte geklebt. „Das Hafenkrankenhaus soll erhalten bleiben“, heißt es — oder: „St. Pauli braucht das Hafenkrankenhaus! Sonst ist's mit Hamburg aus!!!“ Eine Forderung, der durch das Tragen des eigens entworfenen T-Shirts mehr Druck verliehen werden soll – das Stück zu 20 Mark, erhältlich beim Pförtner.

Bei dem hängt auch eine Unterschriftenliste aus. Aber das ist dieser Tage auf dem Gelände zwischen Zirkusweg und Seewartenstraße nichts Ungewöhnliches. Die ganze Klinik scheint zum Widerstand bereit, seit die Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales (BAGS) für „frühestens Januar 1997“ angekündigt hat, das Hafenkrankenhaus zu schließen. Laut Krankenhausplan 2000 sollen die 203 stationären Betten abgebaut werden. Statt dieser ist eine moderne Großambulanz mit angegliederter Praxisklinik (20 Betten) geplant.

Mit diesen Vorstellungen steht die BAGS, die in den nächsten Jahren aus Kostengründen insgesamt 913 „überschüssige“ Betten in Hamburg einsparen will, alleine da. Bezirkspolitiker aller Fraktionen plädieren für den Erhalt des Hauses, ebenso die Interessengemeinschaft St. Pauli. Auch der Landesbetrieb Krankenhäuser (LBK), seit Mai dieses Jahres von der Behörde unabhängig, sieht „keine betriebliche Notwendigkeit zu schließen“, so Sprecherin Ines Kehrein. Doch davon ließ sich die Behörde ebenso wenig beeindrucken wie von 30.000 Unterschriften und einem „Rettungsfest“, zu dem im Juni über 10.000 Menschen gekommen waren.

Wilhelm Thiele, in der BAGS für die Krankenhausplanung zuständig, verweist auf den hohen Sanierungsbedarf des 1900 gebauten Krankenhauses mit seinen fast 470 Angestellten (davon 50 Ärzte): Mindestens 150 Millionen Mark seien für eine „Grundsanierung“ nötig. Dem widerspricht der Oberarzt Hartmut Seidel, seit 1982 Ärztlicher Direktor des Hafenkrankenhauses: „Das sind nur Zahlenspiele der Behörde.“

Er verweist auf die 1986 für 45 Millionen neugebauten OPs und die erst ein Jahr alte neue Röntgenabteilung. Man könne auch Schritt für Schritt die Klinik modernisieren, die 1994 zu 90 Prozent ausgelastet war und eine Million Mark Gewinn erwirtschaftete.

Auf den insgesamt sechs Stationen a 34 Betten (Chirurgie und Innere) gibt es in der Tat einen großen Nachholbedarf: Die Fünf-Bett-Zimmer werden den gewachsenen Ansprüchen nicht mehr gerecht, auch die sanitären Anlagen sind verbesserungsbedürftig. Die medizinischen Abteilungen sind über die verwinkelten Gebäudeabschnitte verteilt, eine Folge der über Jahrzehnte unkoordinierten Anbautätigkeit, die das gesamte Gelände zersiedelte. Seidel sieht gleichfalls Handlungsbedarf: „Wir haben auch schon ein Drei-Stufen-Konzept vorgelegt, doch davon will die Behörde nichts wissen.“ Dabei sei schon ein potentieller privater Investor gefunden gewesen.

Für die schließungswillige Behörde sind diese Vorschläge ohne Belang. Sie beharrt darauf, daß stationäre Betten nicht nötig seien, weil im kleinsten LBK-Krankenhaus der Anteil der ambulant versorgten Patienten mit 75 Prozent (13.500 von 18.000 pro Jahr) schon jetzt sehr hoch sei. „Die Allgemeinen Krankenhäuser Altona und St. Georg können die Patienten übernehmen“, so Thiele, „die Versorgung für St. Pauli bleibt so gewahrt.“ Die geplante Notfall-Ambulanz würde reichen – eine Wende um 180 Grad: Noch vor fünf Jahren war die BAGS der Ansicht, das Hafenkrankenhaus besäße „eine auf kein anderes Krankenhaus übertragbare besondere lokale Aufgabenstellung“.

Für die bislang im Hafenkrankenhaus behandelte Klientel war dies eine verständliche Bewertung. Seidel schätzt, daß circa 3000 alkoholisierte Patienten im „Kiezkrankenhaus“ (Volksmund) jährlich behandelt würden, ebenfalls viele Obdachlose. „Dazu braucht man ein bestimmtes Knowhow, um mit denen klar zu kommen. Eine Ambulanz ohne klinische Anbindung reicht nicht.“ Ähnlich sieht es auch Peter Zamory, der Gesundheitspolitische Sprecher der GAL-Bürgerschaftsfraktion: „Hier werden mehr Menschen aus sozialen Randgruppen versorgt als in anderen Krankenhäusern.“

Zamory hofft wie viele andere auch, daß die BAGS doch noch von ihren Plänen Abstand nimmt. „Das Hafenkrankenhaus hat eine wichtige Versorgungsfunktion.“ Vielleicht stehen die Chancen gar nicht einmal so schlecht: Es gibt Vorschläge, Teile der Klinischen Abteilung des benachbarten Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin ins Krankenhaus zu verlagern. Selbst viele Sozialdemokraten sind nicht ausdrücklich für die Schließung. „Wir sind noch im Meinungsbildungsprozeß“, so Petra Brinkmann, SPD-Gesundheitsexpertin.

Der Chirurg Seidel ist schon vor der endgültigen Entscheidung der Behörde im September optimistisch: „Seit seiner Gründung umkreisen immer wieder Schließungs- pläne das Hafenkrankenhaus.“ Zuletzt in den Achtzigern. „Auch diesmal bleibt es erhalten.“