Minutiös sich vollziehende Schlacht

■ Der Hamburger Rotbuch-Verlag gibt eine Sammlung von Erzählungen Anne Dudens heraus

Es gibt Krimis, deren Handlung ist tückisch. Bei der in London lebenden Schriftstellerin Anne Duden ist es die Sprache, die tückisch ist. Die Autorin schleicht sich von hinten an den Leser heran, und noch bevor er ahnt, worum es in der Erzählung eigentlich geht, ist er ihrer Sprache schon verfallen – und muß den ungewohnten Blick teilen, mit dem Anne Duden die Mechanismen der Zivilisation bereits nach zwei Seiten ein für allemal enttarnt.

Der Rotbuch-Verlag, für den Anne Duden vor ihrer Autorenkarriere als Lektorin tätig war, hat jetzt eine Sammlung ihrer Erzählungen herausgegeben. Unter dem Titel Der wunde Punkt im Alphabet sind 17 Geschichten aus den letzten fünf Jahren versammelt, die bisher nur in Schweizer Tageszeitungen oder Zeitschriften erschienen sind.

Die alten Themen der Autorin, wie sie noch im Judasschaf vorkamen – Kindheitserinnerungen, Bilder deutscher Geschichte, Katastrophen der Gegenwart – sind passé. Jetzt widmet sie sich Alltäglichem: der nachmittäglichen Radiosendung für beziehungsmüde Frauen, der täglichen U-Bahn-Fahrt in die Londoner Innenstadt, den Hörerlebnissen während eines Vogelkonzertes oder den Vorzügen der Schlafenden gegenüber den schlaflosen Menschen.

Am ergiebigsten ist es jedoch für den Leser, wenn Anne Duden und die Kunstgeschichte zusammentreffen. Dann prallt ihr weiblicher Scharfsinn auf patriarchale Geschichte, dann leckt ihr giftiger Speichel an den Dornen der Macht, und die langsam und minutiös sich vollziehende Schlacht hinterläßt Sprachgebilde, die bizarr, surreal und oft recht komisch im Raum stehen. Dann sitzt die Kleidung nicht mehr auf dem Körper, sondern der Körper hat sich „. . . in Gesichtern breitgemacht, bis unter die Hüte oder auch Kappen und Hauben hat er sich geschoben.“ So ihre Beschreibung der Bürgersleute, wie Franz Hals sie gemalt hat. Der eingezwängte Körper, das sind nur noch Hände und Gesichter, die eher als Auswüchse einer fremden Naturgewalt erscheinen statt als bekanntes Fleisch und Blut: „Breite Spitzenkragen, steif-gestärkte Krösen bis zur Größe eine Mühlsteins, plissierte Manschetten lassen sie mitunter wie kräftige Fleischknospen erscheinen, hervorgetrieben aus verborgenem Grund.“

Der Körper, seine Erinnerung und was er uns Sehenden mitteilt – er ist immer wieder Ausgangspunkt der Beobachtung. Wenn Anne Duden über ein Bild spricht, so beschreibt sie es nicht. Eher könnte man sagen, sie zeichne detailliert auf, wie ihre Sinne das Bild wahrnehmen. Ein Wirrwarr von Bäumen und Strichmännchen im Martyrium der Zehntausend von Car-paggio wird zu einem Tor, durch das der Blick „sich geschickt schwebend hindurchbewegen muß, um nirgends anzustoßen und um sich nicht zu verfangen in den aufragenden Speeren . . .“ Die Gefahr gilt nicht den Kämpfenden innerhalb des Bildes, die Gefahr droht auch den heutigen Betrachtern, die auf ihre Blicke achtgeben müssen, beinahe so, als ob sie festgewachsen und darum verletzbar seien.

Es gibt Bücher, die sind wie ein Stück Heimat. Die Erzählungen der Anne Duden könnten für denjenigen dazugehören, der mit Vergnügen langsam liest, und der sich die Gedanken Wort für Wort auf der Zunge zergehen läßt, bevor er sie auf ihren Weg ins Großhirn entläßt. Wer in sich reinschlingt, sollte die Finger davon lassen.

Gabriele Wittmann