Strukturierte Blitzgewitter

■ Das Relais is real: Linda Nilson erforscht mit „OFF and ON – Electrical Materials“ Möglichkeiten in der Beschränkung

Mit dem, oder besser: in bezug auf das Ende des Industriezeitalters hat die Kulturindustrie eine ganze Reihe interessanter neuer Ausdrucksformen hervorgebracht. Entdeckt wurden der brachiale Charme leerstehender Fabrikhallen, die archaische Kraft maschineller Rhythmen und die handfeste Herrlichkeit der Mechanik. Allgemeiner formuliert, ließe sich als gemeinsame Grundlage dieser „Maschinenkunst“ die Entdeckung von der „Schönheit des Unschönen“ bezeichnen. In dieser punktuell durchaus nostalgischen Bewegung gibt es ein denkwürdiges Moment zu beobachten: Die vorgeführte Feier des Mechanischen kommt kaum ohne irgendeine Form der Digitalisierung aus.

Linda Nilson, deren Werkstatt sich in einer nicht mehr genutzten Eisenbahnerumkleidekabine befindet, bastelt Maschinerien, die ohne Einsatz von Computern genau die Digitalisierung vorführen. Seit über einem Jahr schon fügt Nilson auf Schrottplätzen gesammelte Ein/Aus-Relais zu verschiedenen Varianten einer OFF and ON - Electric Materials genannten Installation zusammen. Die Funktion der Relais, das Ein- und Ausschalten, macht sie erstens zum Selbstzweck und zweitens sichtbar: Jedes Relais ist mit Lichtstrahlern verbunden, die jeden Schaltvorgang im Raum erfahrbar werden lassen.

Das ist keineswegs harmlos: Man stelle sich einen stockdunklen Raum vor, in dem ohne jede Vorwarnung ein strukturiertes Gewitter von Lichtblitzen und Relaistackern niedergeht. Es sei, so Nilson, vielleicht doch nicht verwunderlich, daß die Besucher ab und an in entsetztes Kreischen ausbrächen. Dann aber könne man immer wieder auf die beruhigende Kraft des Rhythmus vertrauen. Der nämlich würde im Ton das Gefühl für die Zeit und im Licht das Gefühl für den Raum wieder stabilisieren können. Club culture meets high-brow-Kunst.

Gefragt, warum sie keine Computer nutze, verweist die Hamburgerin zuerst kokett auf ihr Unwissen, um dann deutlich zu machen, daß Computer sie bislang halt nicht interessiert hätten. Das Relais hingegen sei hochinteressant, weil es zugleich „sehr elektrisch und sehr direkt“ sei, weil es sich eine gewisse „materielle Qualität“ bewahrt habe. Es bewahre eine einzige und „besondere Funktion“, deren Mechanismen und Möglichkeiten es eben in dieser Beschränkung zu erforschen gelte. Würden diese nutzlosen Werkzeuge zu Installationen kombiniert, so ginge es nicht darum, eine „Geschichte zu erzählen“ oder eine Botschaft zu übermitteln. Nilson will, daß die Relais als Objekte, nicht als Zeichen begriffen werden: Das Relais is' real, so will es auch das Anagramm.

Matthias Anton