Symbiose der Kirschendiebe

■ Streßfreie Langeweile oder masochistische Kurzweil: Im Waldau-Theater hatte gestern die Boulevard-Komödie „Hochzeitsreise“ des Briten Noel Coward Premiere...

... und wir waren nicht da ... dafür aber auf der öffentlichen Generalprobe tags zuvor. Just derselbe Abend, an dem Guildo Horn Oldenburg heimsuchte. Dem Schlager-Kult um die wiederentdeckten kitschig-sentimentalen Gefühle muß doch auch in Bremen hier und heute zu huldigen sein. Das Waldau-Theater schien der richtige Ort. Mit Recht. Allein schon die location verströmt mit ihrem DDR-Erscheinungsbild nostalgischen Charme. Jede Menge verschmustes Weinrot an Gestühl und Vorhang kämpft einen tapferen Zweifrontenkrieg gegen Wirtshausambiente und Turnhallenkonstruktivismus. Aber diese verquere Liebenswürdigkeit wird nun wohl bald einer gründlichen Restaurierung zum Opfer fallen.

Auf der Bühne rankt sich Efeu, geschmeidig wie ungetrübte Schlagerharmonien, um eine schmucke Hotelfassade. Sybil tritt auf. Sie ruft dem Zuschauer entgegen, daß ihr Ausblick hier so einzigartig wunderbar sei. In Wahrheit nämlich rauscht da wo die Sitzreihen zu sein scheinen das Meer abendgestimmt. Es ist Hochzeit. Doppelhochzeit. Zwei Paare freuen sich auf die Hochzeitsnacht.

Der Zufall freut sich auch: Der Mann des einen Paars und die Frau des anderen Paars waren früher mal verheiratet. Und die stillgelegten Gefühle drohen, sich zu reaktivieren. Rechte Seite der Bühne: Elyot klaut seiner Sybil heimlich die Kirsche aus dem Cocktail. Linke Seite der Bühne: Amanda klaut heimlich ihrem Victor die Kirsche aus dem Cocktail. Daß solche Triebtäter zusammengehören, liegt so klar auf der Hand wie das Reimen von piep auf lieb.

Noel Coward schrieb die „Hochzeitsreise“ an vier Tagen. Das glaubt man ihm sofort. 1931, im Entstehungsjahr, muß der Blondinenwitz noch etwas Freches an sich gehabt haben. Jedenfalls spielt Anette Meyer die Sybil als Inkarnation des Blondinenwitzes, naiv, mit überzüchtetem Getue, zickig zur Umarmung in die Höhe gereckten Ärmchen und albernem Hüftschwung. Auch sonst suhlt sich die Komödie glücklich und zufrieden in Klischees. Natürlich sind die Damen viel schöner als die Herren. Natürlich sind die Herren dafür gelassener als die Damen. Passend zur klaren Personenkonstellation ist auch das dramatische Zentrum klar und simpel.

Was ist besser, eine leidenschaftliche, dafür aber auch problemintensive Liebesbeziehung oder eine problemfreie, dafür aber langweilige, lautet die Frage. Und auch das Zentrum der Beziehungskonflikte ist schlicht. Zwei Stunden lang ist Eifersucht die Mutter aller Streitereien, genauer gesagt, die Eifersucht auf sämtliche tatsächlichen und eingebildeten Verflossenen. Coward ist zu entschuldigen. Vielleicht darf er als Homosexueller simplifizierte Vorstellungen von der klassischen Mann-Frau-Beziehung haben.

Gegenseitige Beschimpfungsorgien, in ihrer Uniformität und Einfalt irgendwie schon wieder ganz alltagsnah, würzt Coward immer wieder mal durch Metaphern. Meist handelt es sich dabei eher um handwerkliche Schreibtischknobeleien, die sich redlich aber nicht immer erfolgreich um Witz und Originalität mühen. Doch gibt es eine grandiose Ausnahme. Sie lautet „Pökelwurst“.

Auf der Suche nach einem Code-Wort zur gegenseitigen Befriedigung fällt dem streitsüchtigen Ex-Paar dieser schöne fleischliche Begriff ein. Leider wird er zugunsten einer sanften Liebesmelodei verworfen.

Bernd Poppes Regie kann trotz gemütlicher Bühnenausstattung eine gewisse Radikalität nicht abgesprochen werden. Wo der Text durchaus Raum für ein gewisses Verständnis für die dauerschimpfenden, bockenden, infantilen Personen (neben Anett Meyer auch Heidi Jürgens, Klaus Nowicki und Stefan Schneider sehr exaltations-freudig) übrig lassen würde, stellt er vier unangenehme, verlogene, lächerliche Egoisten auf die Bühne. Irgendwie schlummert hier hinter der sanft-ironischen Komödie eine deftige Ladung Menschenhaß. Das ist bei Gildo anders.

Barbara Kern

weitere Vorstellungen: 17.5. 19h, 19.5. 20h, 23.5. 19h, 24.5. 19h, 26.5. 20h, 29.5. 20h Tel.: 383031