Eine Spur von Ironie entlang der Weser

■ „Do All Oceans Have Walls?“: Heute eröffnet eine spektakuläre Ausstellung dies- und jenseits von Museumsmauern

as Betriebssystem Kunst funktioniert prächtig. Vielleicht nicht allgemein und überall; in Bremen aber schon. Die Weserburg: ziemlich menschenleer, aber schön! Die neue Kunsthalle!! Und seit heute eine Ausstellung längelang der Weser. Die übertrifft selbst noch den Skulpturenboulevard von Münster im letzten Jahr, finden nicht nur seine Kuratoren Eva Schmidt (Gesellschaft für Aktuelle Kunst) und Horst Griese (Künstlerhaus Bremen).

Das ungleiche aber gleichermaßen engagierte Paar hat einen lokal-internationalen Begriff für seine Ausstellung gefunden und schreibt: „Do All Oceans Have Walls? (so heißt sie) ist die bisher größte Ausstellung zeitgenössischer junger internationaler Kunst in Bremen“ und zeigt Arbeiten von 20 Künstlern aus 13 Ländern zwischen 30 und 60 Jahren. Und mitten zwischendurch wandert Peter Friedl mit seinen neuen Schuhen. Feine maßgeschneiderte Schuhe, die dieses ephemere Betriebssystem „Kunst“ bis zum 26. Juli qua Rückkoppelung zusammenhalten – undogmatisch und kompetent, aber vor allem beweglich. Denn auch die KuratorInnen haben in Friedls Auftrag je ein paar neue Schuhe bekommen, um sich geschmeidig durch Bremens Kunst im Stadtraum zu bewegen: zwei Kilometer links der Weser, vom Vorstadtbahnhof in der Neustadt bis zur Städtischen Galerie am Buntentorsteinweg. Maßgeschneidert wurden die drei Paar Schuhe hier bei uns in Bremen, im Fedelhörn durch Cäcilie Becker, die denn auch als eine unter vielen SponsorInnen der schönen Ausstellung hervorgehoben werden sollte. Denn das, natürlich, gehört auch zum Betriebssystem: In ihrer zweijährigen Vorbereitungszeit haben die beiden Kuratorinnen fast eine Million an Geld- und Sachmitteln gesammelt, um ihr Projekt in die Puschen zu bringen. Respektive in Frau Beckers Schuhe.

Ihr Auftraggeber, der Künstler Peter Friedl, traktierte übrigens noch auf der documenta '97 in einem kleinen Videostreifen einen kaputten Zigarettenautomaten Tag und Nacht mit Fußtritten. Dabei kam es zu einer eher abrupten zwischenmenschlichen Begegnung und einem zweiten Fußtritt. Die drei Menschen Friedl, Schmidt und Griese auf den heißen Sockeln ihrer maßgeschneiderten Kunstwerke treffen sich hingegen betriebsbedingt: Zum Beispiel heute, zwecks Eröffnung der Ausstellung um 14 Uhr, in der Neuen Weserburg bei der Gesellschaft für aktuelle Kunst (GAK). Oder abends bei der Eröffnungs-Party im Künstlerhaus, wenn sich das Kunstwerk beim Tanzen auf die Füße tritt.

Wunderbar! So kommt Leben in die Kunst. Und das ist, schaut man sich die bunten Werke der 20 Künstler im Sonnenlicht an, unbedingt ein Merkmal zeitgenössischer Kunst. Eine leise Spur von Ironie zieht sich entlang der Weser. Selbst das Palästina-Video von Eran Schaerf und seiner Lebens-Partnerin Eva Meyer im Inneren der GAK ist zwar so streng geschnitten, als sei's ein Werk von Straub/Huillet, doch wie fröhlich läuft es sich durch das Labyrinth von hellblauen und gelben Säcken, die dem Projektor vorgelagert sind und in freundlicher Komplementarität das Miteinander der verfeindeten Völker symbolisieren.

Wieder draußen an der frischen Luft schnappt sich der Kunstfreund sein Fahrrad, das keinesfalls vergessen werdensollte, und macht sich auf den Weg zum Neustadtbahnhof, wo im Kunstverein pro Arte „Gott“ wartet. Affirmativ kommt er daher: ein 6,50 Meter großes, bunt „erleuchtetes“ Styroporkristall. Doch seine beiden Schweizer Schöpfer, Marcel Biefer und Beat Zgraggen, schlagen mit ihren Reden leichte Bögen vom Metaphysischen zum Leben hienieden. Schon die Anweisung, sich dem Werk möglichst unbekleidet zu nähern, hat etwas unbedingt menschliches: „Ich weiß nicht, ob Ihnen das auch so geht: Aber je unbekleideter man sich einem Kunstwerk nähert, desto intensiver blickt es zurück“, variiert Herr Biefer im grünen Overall ein großes Philosophem und wendet sich wieder seinem Styropor zu: „Sechs Tage haben wir gebaut – am siebten Tage ruhen wir“. Zwei Halbgötter an der Arbeit (“Sind wir Künstler nicht auch heute noch ein bißchen allmächtig?“); vor ihrem unförmigen Götzenbild aber überkommt den Nackten übersprudelndes Lachen.

Ähnliches kann einem auf dem 12. Polizeirevier passieren, wo Ross Sinclairs Schriftzug leuchtet: „I love real life“. Prächtig funktioniert der Kurzschluß zwischen Kunst und Leben im traurigen Büroraum auf der Neustadtwache: Unter dem gelben Neonschriftzug des Schotten ähnelt der Diensthabende am Schreibtisch plötzlich frappant der Verbrecherskizze auf dem Fahndungsfoto. Selbst hier also ist Kunst grenzüberschreitend, wie schön! Und auch der Vorgesetzte freut sich: „Unsere Kundschaft lächelt jetzt viel häufiger!“

Ganz am anderen Ende des Kunstparcours die städtische Galerie mit Claude Lévèques wunderschönen blauen Lichträdern, „Ricochet“ genannt (“Steine über's Wasser hüpfen lassen“), und mit dem Sandkasten, wo Bob und Roberta Smith (“Come with your children!“) punkig-poppige Sandabgüsse fertigen. Ganz am anderen Ende – doch was wurde zwischendrin nicht alles vergessen! Sehen Sie selber. ritz

Temporäre Kunst-Termine bei „Do All Oceans Have Walls?“: Am heutigen Samstag um 17 Uhr verwandelt Olafur Eliasson die Weser an der Teerhof-Brücke in ein phosphoreszierendes Giftgrün. Am Sonntag um 12 Uhr spielt die Seniorentheatergruppe „Die Silberlocken“ auf der Bürgermeister-Smidt-Brücke unter der Regie von Anna Eriksson die „Bremer Stadtmusikanten“. Täglich um 12, 16 und 22 Uhr brennt das Bremer Künstlerhaus ab (verantwortlich Henrik Plenge Jakobsen)