Wand und Boden: Jugend trägt Mohairpullover
■ Kunst in Berlin jetzt: Ange Leccia, Beat Streuli, Elizabeth Felicella
Zum Star gehört das Blitzlichtgewitter der Paparazzi. Im Video von Ange Leccia muß die asiatische Filmschauspielerin Maggie Cheung eine solche Zeremonie über sich ergehen lassen. Sie wird dabei von den blitzenden Kameras buchstäblich ausgelöscht, mit jedem Shot verschwindet ihr Gesicht für den Bruchteil einer Sekunde in der Überblendung. Weil der französische Künstler diese harten Kontraste liebt, hat er den Moment noch in Zeitlupe hinausgezögert und Dokumentaraufnahmen von Hiroshima nach dem Atombombenabwurf zwischengeschnitten. Die Zeichen der Verwüstung sind die Spuren jener Explosion, die Robert Jungk „heller als tausend Sonnen“ genannt hat.
Die Ausstellung „Le Temps des contraires“ in der Galerie Anselm Dreher setzt das Spiel mit extremen Lichtverhältnissen in allen drei Videoinstallationen fort. In einem zweiten Raum sieht man, wie sich eine junge Frau unter dem Rasen eines Stroboskops langsam und sukzessive bewegt. Es ist eine unentwegte Folge von Naheinstellungen, eine Porträtserie, die vom Flackern des Blitzes gesteuert wird. Manchmal glimmen die Schatten auf der Retina des Betrachters nach, so scharf brennt sich das Licht den Bildern ein.
Die dritte Arbeit zeigt auf zwei Monitoren wieder ein Mädchen, das vor der Kamera einer grellen Beleuchtung ausgesetzt ist. Durch die Anstrengung sieht sie sehr mißmutig aus – was Leccia an die Fahndungsfotos von Terroristen erinnert.
Während der 1952 geborene Korse früher die Kraft von Maschinen nutzte und Flugzeuge oder schwere Landwirtschaftsgeräte gegeneinandersetzte, reicht ihm heute das Licht, um Spannungsfelder zu erzeugen. Der Konflikt wird nun nicht mehr im Raum, sondern von Augenblick zu Augenblick ausgetragen. Damit stellt sich zugleich ein sonderbarer Effekt ein. Im raschen Wechsel zwischen dem Verschwinden und der Rückkehr der Gesichter gibt es einen Moment, in dem die Frauen aus sich selbst heraus schimmern. Dann wird der Star tatsächlich zu einer Lichtgestalt. In der Malerei gibt es dazu ein klassisches Pendant: Madonnenbilder.
Bis 6.6., Di.–Fr. 14–18.30, Sa. 11–14 Uhr, Pfalzburger Straße 80
Beat Streuli gehört zu jener Slacker-Generation von Fotografen, die im Alltag nur mehr das Alltägliche suchen. Es sind nicht länger die Drop-outs von Nan Goldin oder die lüsternen Teenager eines Larry Clark, denen hier nachgespürt wird. Streuli fotografiert in Südafrika, Italien oder seiner Schweizer Heimat ganz einfach junge Leute, die auf der Straße abhängen. Kein Dresscode macht sie zu irgendwelchen Szenehelden, weder Verzweiflung noch Euphorie spiegelt sich in ihrem Ausdruck wider. Ohne große Gefühlswallungen bestimmt der Normalzustand das Leben. Auf MTV sehen die Menschen jedenfalls ziemlich anders aus.
Der Trick von Streuli besteht jedoch in der Überhöhung der blanken Banalität. Auf ein Format von immerhin bis zu 151x201 Zentimetern vergrößert, wird die Unauffälligkeit der Situationen plötzlich zum erhabenen Bildmotiv. Das Mädchen mit strähnigem Haar im weißen, selbstgestrickten Mohairpullover, das Streuli in einer Gruppe von Jugendlichen aus Tarragona abgelichtet hat, bekommt in der isolierten Darstellung Züge einer übermächtigen Realität, in der selbst der Zufall einer höheren Ordnung verpflichtet ist. Fein gezeichnet wie sonst nur auf Werbefotos, erscheint ihr regloses Antlitz nun im Glanz des Einzigartigen, und sei es nur als ideales H&M-Modell.
Dabei kommt dem Fotografen die Apparatur zu Hilfe: Durch die starke Fokussierung liegt die Schärfentiefe ganz auf der Person, während vom Hintergrund nur ein paar verwischte Schemen übrigbleiben. Weil das Umfeld sich auflöst, wirkt die Figur um so eindringlicher.
Auch der begleitende Videofilm, den Streuli 1996 in Tarragona gedreht hat, macht sich diese Technik zunutze. Minutenlang schaut man einem appetitlichen jungen Mann dabei zu, wie er sich verlegen am Ohr kratzt oder die spärlich wachsenden Koteletten krault. Alles ist angenehm schläfrig und total unaufgeregt. Allein die Entfernung zur Kamera bleibt unklar und damit auch die Frage nach der Inszenierung. Fast sieht es aus, als hätte Streuli den Jungen weit aus der Ferne gefilmt, so daß dieser die Beobachtung durch den Künstler gar nicht registriert. Diese zurückhaltende Attitüde macht auch den Reiz der Arbeiten aus. Streuli produziert Ikonen der Zurückhaltung, und seine Bescheidenheit ziert ungemein.
Bis 20.6., Di.–Fr. 15–19, Sa. 11–14 Uhr, Busche Galerie, Bundesallee 32
In das Gästebuch der Galerie Koch und Kesslau hat jemand geschrieben, daß die Fotos von Elizabeth Felicella fasziniernd kontrastlos seien. Präziser lassen sich die Schwarzweißaufnahmen aus der Serie „Idlewild“ kaum beschreiben. Solche Schmucklosigkeit paßt jedoch hervorragend zum Gegenstand: Die 1966 geborene New Yorker Architekturfotografin hat mit DIN-A4-großen Aufnahmen das urbane Umfeld des John F. Kennedy Flugplatzes dokumentiert.
Wie bei einer Feldstudie sind die einzelnen Stationen als Beleg gedacht. Rund um den Flughafen breiten sich Leere und Trägheit als Gegenteil des Zentrums aus, das als Symbol für internationale Kontakte und den beschleunigten Verkehr seit den sechziger Jahren gilt. Der Airport, das ist die Utopie einer Welt im Aufbruch. Doch wieder einmal fügt sich auch hier die Wirklichkeit der Ironie: Vor Kennedys Ermordung hieß der Flughafen „Idlewild“ – und „idle“ bedeutet soviel wie unnütz oder unbeschäftigt.
Was Felicella bei ihrer topographisch orientierten Recherche zusammengetragen hat, ist in der Tat nichts als ödes Gelände, ein weitläufiges Grau in Grau. Schon auf der nahe gelegenen Pferderennbahn geht es trist zu, und am Knotenpunkt der beiden Autobahnzubringer stehen gerade einmal zwei verdörrte Tannen. Im Uhrzeigersinn folgen die Bilder einem Kurs, der in knapp einer Meile Entfernung um den Flughafen führt. Selbst die Rockaway- U-Bahn-Station sieht wie Niemandsland aus, und die Cross Bay Bridge könnte genausogut in Sibirien liegen, wäre nicht ein Cadillac am Straßenrand geparkt. Um sich in dieser Wüste überhaupt zurechtfinden zu können, hat Felicella ihre einzelnen Etappen auf einer Wegkarte mit Stecknadeln markiert. Die Legende daneben besagt, daß hier früher ausgedehnte Sümpfe lagen. Viel verändert hat sich in diesem Teil New Yorks seit der Gründung 1626 nicht. Wir fliegen trotzdem immer wieder hin.
Bis 30.5., Do.–Sa. 16–20 Uhr, Weinbergsweg 3 Harald Fricke
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