Die Nahtstellen sind noch offen

■ Fünf Jahre nach dem Zusammenschluß von Bündnis 90, Ostgrünen und der Alternativen Liste bleibt noch viel Trennendes. Im Ostteil der Stadt fehlt es an Mitgliedern und Präsenz

Der Ort, an dem Bündnis 90/Die Grünen am Donnerstag abend den fünften Jahrestag ihres Zusammenschlusses feierten, hatte Symbolgehalt: Die Grünen aus Ost und West und die Bürgerrechtler des früheren Bündnisses 90 trafen sich an der Nahtstelle zwischen Ost und West – auf dem Restaurantschiff MS Sanssouci an der Oberbaumbrücke. Der Liegeplatz des Schiffes auf der Kreuzberger Seite symbolisiert zugleich den wahren Standort der aus drei Gruppierungen entstandenen Partei: Verankert sind Bündnis 90/Die Grünen nach wie vor deutlich stärker im Westen als auf der östlichen Seite der Spree.

Das läßt sich schon an den Mitgliederzahlen ablesen: Von insgesamt 3.340 Parteimitgliedern leben nur 659 im Ostteil der Stadt. Die 2.568 Mitglieder im Westen stellen mehr als zwei Drittel der Mitgliedschaft. Nur die Bezirksgruppe Prenzlauer Berg reicht mit 204 MitstreiterInnen an die mitgliederstärksten Bezirksgruppen Kreuzberg (464 Mitglieder), Schöneberg (386) und Charlottenburg (300) heran. Wobei Prenzlauer Berg und auch Mitte Sonderfälle sind, weil sich hier wie nirgendwo sonst die Mitgliedschaft aus Ost und West mischt. Seit etwa einem Jahr würden Neulinge nicht mehr gefragt, ob sie aus dem Osten oder dem Westen stammen, sagt Marianne Birthler, die dort bei der Bundestagswahl als Direktkandidatin antritt. Dies sei ein „positives Signal“.

Die zweitgrößte Bezirksgruppe im Ostteil der Stadt ist Mitte mit 72 Mitgliedern, das Schlußlicht bilden Hohenschönhausen mit 18 und Hellersdorf mit 17 Mitgliedern. Die personelle Schwäche ist allerdings relativ. Auch in mitgliederstarken Westbezirken findet sich häufig nur ein harter Kern von zehn bis fünfzehn Aktiven zu Bezirksgruppentreffen ein. Doch beieiner so dünnen Personaldecke ist es gerade im Osten schwierig, neben der Arbeit in der Bezirksverordnetenversammlung auch noch Präsenz im Bezirk zu zeigen.

Doch gibt es auch neue Ansätze: in Weißensee schloß die Bezirksgruppe ihren Bürgerladen und investierte das Geld in eine eigene Zeitschrift (Titel: Ungelogen) Damit und mit politischen Frühschoppen zu verschiedenen Themen könne man BürgerInnen besser erreichen, so der Weißenseer Abgeordnete Dietmar Volk.

Die Gründe für die Schwäche der Grünen im Ostteil der Stadt sind vielfältig: Das klassische Milieu, aus dem sich die grüne Stammwählerschaft speist, die intellektuelle, mittelständische Alternativszene, ist dort weit weniger ausgeprägt. Doch räumt Fraktionschefin Renate Künast auch Versäumnisse ein: „Wir haben den Aufbau eines Umfeldes vollkommen verpaßt.“ Auf diejenigen, die grünen Ideen offen gegenüberstehen, sei man in den letzten Jahren zuwenig zugegangen.

Die Grünen haben zudem ein Imageproblem. Sie werden – zu Recht – als Westpartei wahrgenommen. Und doch gibt es je nach Standort eine andere Bewertung dieses Imageproblems: „Wir sind eine Westpartei, einfach weil wir in einem Westland leben“, beschreibt Bürgerrechtlerin Marianne Birthler die Situation als nahezu unausweichlich.

Dagegen wertet Fraktionschefin Renate Künast eher als Nachteil, daß die Grünen im Osten so stark mit Bürgerrechtlern gleichgesetzt werden: „Das ist ein rückwärtsgewandtes Image.“ Die Grünen würden zuwenig deutlich machen, daß sie für die Zukunftsfragen Arbeit und Soziales Konzepte haben, so Künast. „Das Label ,ehemalige Bürgerrechtler‘ hat nicht die Anziehungskraft eines Magneten.“

Das ungleiche Dreiergespann aus Bürgerrechtlern, Ost- und Westgrünen ist auch fünf Jahre nach dem Zusammenschluß keine wirkliche Einheit geworden. Die grüne Bundestagsabgeordnete Andrea Fischer sagte am Donnerstag treffend, daß Bündnis 90 und die Grünen politische Bewegungen seien, die sehr stark von ihrer Identität bestimmt seien. „Jede Veränderung des Kräfteverhältnisses bedroht die Identität.“

Die Differenzen, die sich aus den politischen Biographien ergeben, wirken ebenso fort wie die alten Konfliktlinien. Das geht teilweise quer zum Ost-West-Schema. Das Bedürfnis nach Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit ist bei Westgrünen weniger stark ausgeprägt als bei den BürgerrechtlerInnen. Das Desinteresse der Bürgerrechtler an Ökothemen stört aber vor allem Ostgrüne. Die Bürgerrechtler, die mit linken Ideologien abgeschlosen hatten, stoßen sich wiederum an den grünen Linken. Die meisten Bürgerrechtler haben sich inzwischen aus der Politik zurückgezogen – warum, das kann auch Marianne Birthler nicht wirklich erklären.

Eine Rolle spielt sicherlich die Frustration darüber, die Parteilinie zuwenig beeinflussen zu können. Nur ein einziges Mal, sagt die aus Pankow stammende Mitarbeiterin der Bundestagsfraktion, Petra Morawe, sei es den Bürgerrechtlern gelungen, den Diskurs zu bestimmen – bei der Debatte über ein militärisches Eingreifen in Bosnien. Morawe spricht gar von einer „Antistimmung gegen Bürgerrechtler, weil wir nicht reinpassen.“

Obwohl der Berliner Landesverband der einzige war, der den Zusammenschluß zu Bündnis 90/Die Grünen vor fünf Jahren mit einer Feier beging, fiel die Resonanz überraschend gering aus. Nur etwa hundertfünfzig Bündnisgrüne und SympathisantInnen fanden sich auf dem Schiff ein. Richtige Feierstimmung kam nicht auf.

„Es gibt keinen Grund zu feiern“, lautete das Resümee seiner recht kritischen Bilanz der letzten fünf Jahre, die Hellmut Müller- Ensberg, der frühere Fraktionssprecher von Bündnis 90 in Brandenburg und damals harter Gegner des Zusammenschlusses, zog.

Er forderte ein „stärkeres eigenes Profil der Grünen im Osten“. Doch welches? Der bündnisgrüne Schatzmeister Werner Hirschmüller kann keine „Marktlücke“ entdecken, in die die Grünen in Ostdeutschland hineinstoßen könnten. Bei einer Partei, die sich die Verteidigung demokratischer Rechte und Ökologie auf die Fahnen schreibt, klaffen Politikangebot und -nachfrage weit auseinander.

Und sosehr sich die Aktiven in den Bezirken abstrampeln – in der Öffentlichkeit wird vor allem die grüne Prominenz wahrgenommen. „Was wir an Wahlkampf machen, bringt doch nichts. Was zählt, ist, wenn Joschka Fischer verschwitzt vom Marathon kommt“, stellt das Köpenicker Gründungsmitglied André Borré fest.

Dabei planen die Köpenicker Bündnisgrünen für den Sommer ein Rockkonzert mit Schülerbands. Und auch das Plakat an der Tür des Fraktionszimmers, das die drei bündnisgrünen Fraktionsfrauen von Köpenick zeigt, verkündet optimistisch: „Die gute Zeit fällt nicht vom Himmel, wir schaffen sie selbst.“ Dorothee Winden