Sehen und gesehen werden

■ Seit dem Ende des alliierten Flugverbots hat sich die Lage am Himmel normalisiert. Täglich 600 Linienmaschinen und 120 Privatflugzeuge. Klagen von Anwohnern über Lärmbelästigung von oben

Der gerade beendete Berlin- Besuch von US-Präsident Bill Clinton galt dem größten Gedrängel, das es je am Himmel über Berlin gegeben hat. Während der Luftbrücke landeten die „Rosinenbomber“ im Abstand von 90 Sekunden. Dann herrschte über 40 Jahre lang zwar nicht Freiheit, aber Frieden am Himmel. Ab und zu knatterte mal ein alliierter Hubschrauber über die Dächer oder ein Düsenjet der Roten Armee durchbrach über West-Berlin die Schallmauer und ließ die Fensterscheiben zittern. Deutschen dagegen war es nach alliiertem Recht verboten, in die Luft zu gehen.

Richtig voll am Himmel wurde es erst wieder 1995. Den von Christo verpackten Reichstag wollten Hinz und Kunz aus der Luft sehen. 150 Flieger kreisten zeitweilig über dem Kunstwerk und eingefleischte Piloten bekommen heute noch eine Gänsehaut, wenn sie an diese Zeit denken. „Vom Anfänger bis zum Profi ist da alles in der Luft gewesen, was fliegen konnte“, erinnert sich Bodo Steinberg, Pilot der Polizeihubschrauberstaffel an manche brenzlige Situation. „Alle kreisten rechts rum um das Gebäude, aber manche flogen linksrum gegen den Strom.“

Inzwischen hat sich der Verkehr am Himmel normalisiert. Am Flughafen Schönefeld stehen die zwei Flieger der Polizeihubschrauberstaffel. Sie beschäftigen sich mit der Beobachtung und Überwachung von Staatsbesuchen und Großdemonstrationen oder dem Transport von Gefangenen. Das fliegende Wachzimmer hilft aber laut Steinberg auch bei der „Bekämpfung des organisierten Verbrechens“, der Verbrecherjagd und der Suche nach Vermißten. Der Bundesgrenzschutz hat seine 18 Hubschrauber in Tempelhof untergebracht. Er kontrolliert von dort aus die gesamte polnische Grenze bis nach Sachsen. Viele Krankenhäuser haben ihre eigenen Landeplätze für Rettungshubschrauber, die Notfälle bringen.

Nach Auskunft von Olaf Obst, Pressesprecher der Deutschen Flugsicherung Berlin, fliegen durchschnittlich etwa 600 Linienmaschinen und 120 Privatmaschinen am Tag durch die Wolken über der Hauptstadt. Neben den regelmäßigen Linien- und Charterflügen bevölkert auch die „Allgemeine Luftfahrt“ den Himmel: kleinere Propellermaschinen und Jets, die vor allem Geschäftsleute, Kamerateams oder Geburtstagsgesellschaften zum Rundflug in die Luft bringen. Ganz oben schließlich bewegen sich die „Kondensstreifenzieher“, Düsenmaschinen beim Überflug über Berlin.

Die Luft über Berlin gilt als ebenso frei wie eine Straße: Wer einen Flugschein und ein Flugzeug hat, kann fliegen. Absolute Vorfahrt haben die Ballons, die sich nicht steuern lassen. Auch den Zeppelinen oder Segelfliegern müssen die wendigen Motorflieger ausweichen – doch meistens halten sich diese lahmen Flugenten von Berlin fern. Wer nach Berlin hereinfliegen will, muß sich – egal ob mit einem Ballon oder einem Jumbo – bei der Flugsicherung anmelden. Dann muß er die Sicherheitszonen um die Verkehrsflughäfen mit einem Radius von etwa fünf Kilometern meiden. Kleinpiloten fliegen unter Überwachung der Flugsicherung auf Sicht. „Sehen und gesehen werden“ gilt als Motto der Privatflieger.

Die Normalisierung beim Himmelsverkehr bedeutet aber auch, daß nicht alles Gute von oben kommt. „Es gibt keinen Flecken in der Stadt mehr, an dem sich nicht Menschen vom Gebrumm der Flugzeuge gestört fühlen“, meint Johannes Hauenstein von der Initiative „BürgerInnen gegen das Luftkreuz“. Neben den Anwohnern der großen Flughäfen, die unter dem Düsenlärm der Touristenclipper leiden, beschweren sich bei Hauenstein auch viele Menschen, die in eigentlich ruhigen Gegenden wohnen. „Vielen Menschen, die die Fliegerei mit Linienmaschinen noch als notwendiges Übel ansehen, denken, daß diese private Fliegerei nicht sein müßte und sich hier andere auf ihre Kosten amüsieren“, so Hauenstein. Für den Kämpfer gegen die totale Freiheit der Lüfte ist vor allem das Argument mit der Sicherheit schlagkräftig. „Wir hatten lange keinen Absturz einer Linienmaschine, aber die ein- und zweimotorigen Flieger fallen oft runter“, meint Hauenstein. Als vor zwei Jahren eine Berliner Privatmaschine bei Salzburg abstürzte, sei das „nur ein glücklicher Zufall gewesen, daß das nicht auf dem Rückflug in Berlin passiert ist.“ Bernhard Pötter