Auch gestern explodierte die Gewalt in den Stadtvierteln Jakartas. Über 200 Menschen kamen zu Tode. Sie starben, als sie in Kaufhäusern oder Banken plündern wollten, die von Plünderern in Brand gesetzt worden waren. Die Hoffnung, daß sich D

Auch gestern explodierte die Gewalt in den Stadtvierteln Jakartas. Über 200 Menschen kamen zu Tode. Sie starben, als sie in Kaufhäusern oder Banken plündern wollten, die von Plünderern in Brand gesetzt worden waren. Die Hoffnung, daß sich Diktator Suharto überreden läßt zurückzutreten, ist groß. Aber auch die Skepsis.

„Suharto muß weg“

Ein weißes Stück Stoff ist über den Toten auf der Bahre gebreitet, darauf liegt ein Zettel des Leichenhauses: Teddy Kennedy, 15.5.98. Die Polizei hat ihn vor wenigen Stunden gebracht. Ein junger Mann, gestorben an einer Kugel im Kopf. „Er hat sich doch nie um Politik gekümmert“, sagt der Vater leise. Sein Sohn, den der Parkplatzwächter nach dem amerikanischen Politiker benannt hat, weil der „ein guter Mann war“, ist am Morgen auf der Straße getroffen worden, als die Polizei in die Menge schoß. Er war 21. „Er wollte doch noch studieren.“

Auch gestern explodierte die Gewalt in mehreren Stadtvierteln von Jakarta. Doch die meisten Opfer sind nicht wie Teddy Kennedy erschossen oder erschlagen worden: Sie kamen ums Leben, als sie in Kaufhäusern oder Banken plündern wollten – und qualvoll starben, weil andere das Gebäude in Flammen steckten. Das grauenvolle Ausmaß dieser Unruhen wird erst langsam klar: Ständig bringen Ambulanzen verkohlte Opfer in das Leichenschauhaus des Roten Kreuzes im Stadtviertel Salemba. 137 meist bis zur Unkenntlichkeit verbrannte Menschen liegen dicht nebeneinander, nur notdürftig mit schwarzen Plastikfolien oder Sarongs bedeckt. Ein schwerer Geruch von Rauch und Tod liegt über dem Raum.

Dazwischen sitzt eine Gruppe von Ärzten und Freiwilligen, die sich bemühen, die Toten zu registrieren und besorgten Angehörigen Auskunft zu erteilen. Doch „wir konnten bisher nur zehn Tote identifizieren“, sagt die Ärztin Lefinah, die seit dem vergangenen Abend hier Dienst tut. Die Mediziner, die im Autopsieraum im Akkord arbeiten, haben ihre Wut und ihr Entsetzen auf makabere Weise ausgedrückt: „Eintritt verboten“, steht auf einem Schild an der Tür, „Unbefugte werden erschossen, Überlebende vergewaltigt.“

In der großen Gejamedah- Straße, die aus dem Stadtzentrum in Richtung Norden führt, herrscht unwirkliche Ruhe. Panzer sind aufgefahren, eine bewaffnete Motorradtruppe richtet ihre Gewehre auf Passanten. Noch vor einer dreiviertel Stunde sind hier neue Brände gelegt worden, jetzt sind die Plünderer und Brandstifter vertrieben. Es ist eine 500 Meter lange menschenleere Straßenschlucht, in der kein einziges Haus unbeschädigt geblieben ist.

Hier, wo sich das Viertel Glodok mit vielen Geschäftszentren und kleinen Läden vor allem chinesischstämmiger Indonesier befindet, hat es die ganze Nacht gebrannt. In einer Seitengasse sitzt der 26jährige Iwan und starrt auf die verkohlte Ruine des Plaza-21- Kaufhauses. Er hatte im Keller eine winzige Werkstatt, in der er elektronische Geräte reparierte. Alles ist weg, sagt er. Abends um neun, sagt er, kamen Fremde, die „Brennt alles nieder“ riefen und systematisch Feuer legten. „Das waren nicht die Nachbarn, das waren nicht meine Bekannten“, schwört er. Kein Soldat und kein Polizist sei gekommen, um die Gebäude zu schützen, obwohl er sie gebeten habe.

Iwan, dessen Familie seit drei Generationen auf der Insel Sumatra lebt, wird jetzt in seine Heimat zurückkehren. „In Jakarta habe ich keine Zukunft“, sagt er. Weil er deutlich chinesisch aussieht, kann er sich nicht mehr sicher fühlen. Angst habe er nicht vor seinen indonesischen Bekannten oder vor dem Polizisten aus der Nachbarschaft, mit dem er ein gutes Verhältnis habe, sondern vor Fremden. Vor den Indonesiern, die ihre Wut über ihre Armut und die ganze wirtschaftliche Misere auf die Chinesen abwälzten.

Um nicht als „chinesisches Geschäft“ zu gelten und nicht geplündert zu werden, haben die Betreiber des McDonald's-Restaurants ein Schild aufgehängt, worauf „im Besitz von Indonesiern“ geschrieben steht. Es hat nichts genützt, auch der McDonald's und Pizza Hut sind in Flammen aufgegangen.

„Keine Religion erlaubt es oder schreibt es vor, andere zu töten!“ ruft der Vorsitzende des größten muslimischen Studentenverbandes, Fachri Hamzah, beim Freitagsgebet in der Al-Azhar-Moschee im Süden Jakartas. Vor mehreren tausend Gläubigen fordert er die Bevölkerung auf, nicht mehr zu plündern und nicht gegen die Chinesen vorzugehen. Die Leute seien wütend, sagt er. Die Regierung habe versagt. Präsident Suharto müsse zurücktreten. „Ich unterstütze Amien Rais“, sagt der Studentenführer. Applaus.

Amien Rais, Führer der 28 Millionen Mitglieder starken muslimischen Glaubensgemeinschaft Muhamadiya und derzeit eloquentester Kritiker des Präsidenten, tritt ebenfalls auf. Viele sehen in ihm die Hoffnung der Opposition. „Vor vier Monaten haben wir der Regierung den Dialog angeboten“, sagt er. Aber damals habe die nur abschätzig gesagt, „Dialog, wozu?“ Nun sei es zu spät. „Suharto muß weg.“ Das Militär fordert er auf, sich auf „die Seite des Volkes zu stellen“.

Doch noch ist nicht klar, wie das Militär reagieren wird. Am Tag sind immer neue Panzer in die Stadt gerollt, Lastwagen voller Soldaten patrouillieren über die Straßen. Das verhindert nicht, daß an vielen Stellen immer wieder Unruhen aufflammen – die indonesische Hauptstadt mit ihren 10 Millionen Menschen ist riesig, auch 20.000 Soldaten können nicht überall sein.

Die Hoffnung, daß Suharto sich überreden läßt abzutreten, ist groß – aber die Skepsis auch. Wenn das Militär es nicht wagt, sich gegen Suharto zu entscheiden, muß mit schärfsten Repressionen gerechnet werden. Jutta Lietsch, Jakarta