Da rappelt nix im Karton

Stefan Bachmanns braver „Kaukasischer Kreidekreis“ am Schauspielhaus  ■ Von Christiane Kühl

Mit tiefschwarzer Dunkelheit empfängt die Regie den Besucher. Das sonnenverwöhnte Auge sucht einen Anhaltspunkt, aber da ist keiner. Die Welt ist schwarz, der Mensch blind, und wie immer kann alles schlimmer kommen: „Dort in den Hügeln haben wir drei Nazitanks aufgehalten, aber sie haben die Apfelpflanzung schon zerstört.“ Noch immer kein Bild, die kaukasischen Kolchosen diskutieren ihr Agrarproblem als Hörspiel. Hört zu, sagt das Theater, hier geht es um Inhalte. Dann, ganz langsam, ein Silberstreif am Horizont, eine Sonne, die zu leuchten beginnt und mit zunehmender Helligkeit den Namen Bertolt Brecht trägt. Überlebensgroß hängt sein Portrait vom Bühnenhimmel. Da lächelt er verschmitzt und undurchdringlich wie die Mona Lisa auf uns hinab.

„Ich bin kein Twen mehr“, hatte Stefan Bachmann schon im letzten Schaupielhaus Magazin klargestellt, „die Zeiten des Tanzens sind vorbei.“ Sein Image als Fun-Regisseur wollte der aus der Freien Szene stammende, seit geraumer Zeit am Staatstheater arbeitende und in Kürze Oberspielleiter in Basel werdende 32jährige nun endgültig ablegen. Da kommt ein später Brecht ganz recht, der Sowjet-Kolchosen um Eigentum streiten läßt, zur Schlichtung eine chinesische Parabel heranzieht und die ganze Geschichte von einem – epischer geht's kaum – Sänger direkt dem Publikum erzählen läßt. Keine Fisimatenten hier.

Zu Beginn der Inszenierung des Kaukasischen Kreidekreises funktioniert moderate Strenge auch gut. In einer leeren, mit Karton ausgeschlagenen Bühne (Hugo Gretler) legt Max Hopp als Erzähler prononciert und beweglich im weißen Leinenanzug die Grundzüge der Geschichte dar. „In alter, blutiger Zeit“ herrschte ein Gouverneur mit schöner Frau, dem Aufständische eines schöneren Tages den Hof in Brand setzen. Er verliert sein Leben, seine Frau ihre prächtigen Kleider. Ihren Sohn überläßt sie den Flammen. Die Amme Grusche, nimmt sich seiner an und flieht unter Einsatz des eigenen Lebens mit dem Kind des Feindes in eine Welt, in der selbst die Guten sie aus Furcht verraten werden. Doch erst nach Ende des Aufstands soll sie alles verlieren: Die ums Erbe besorgte Mutter fordert den Jungen zurück.

Das weiß geschminkte Ensemble illustriert die Parabel comichaft. Ohne phantastische Einfälle, jedoch mit einer Art elegant-volkstümlichem Spielwitz werden die Etappen vorgespielt, ohne die Ernsthaftigkeit des Verhandelten in Frage zu stellen. Marion Breckwoldt ist eine großartige Grusche: ein großes, dickes unterschätztes Kind, das weder mit einer Idee vom Guten noch aus Sentimentalität noch aus Heldenmut handelt, sondern bei aller Naivität mit gesundem Menschenverstand. Auch André Jung, der den Robin-Hood-Richter Azdak als recht korruptes Schwein gibt, ist groß bishin zur entscheidenden Schlußszene, in der er besoffenen in Unterhose die Kreidekreisprobe zur Ermittlung der rechten – bei Brecht der für das Kind besseren – Mutter anordnet.

Das aber geschieht erst nach drei Stunden, und in der Zwischenzeit, die Grusche umherirrend in den Bergen verbrachte, hat sich das Stück auch verlaufen. Eine MacDonalds-Tüte hier, ein Sadomaso-Bauer da, viel Astra und unmotivierte 80er-Jahre-Kostüme (Stefanie Schütz) mit viel Plastik und gespikten Haaren wirken wie ein halbherziger Versuch, das für unsere Rezeptionsgewohnheiten zu bodenständige epische Theater doch noch ein wenig aufzupeppen. Das ist weniger Spiel denn Geplänkel. Schade eigentlich: Legte doch die Bühne nahe, es würde bei dieser der zahllosen Brecht-Geburtstagsehrungen mal endlich so richtig rappeln im Karton.