Für's Herze vollauf genug

■ Mit Franz Schuberts „Die schöne Müllerin“ beendete Wolfgang Holzmair den Lied-Zyklus in der Glocke

Zuerst war dieses Konzert eine perfekte Demonstration perfekter Gesangskunst. Wie bei dem österreichischen hohen Bariton Wolfgang Holzmair die makellos intonierten Töne „vorne sitzen“, wie er die Stütze, die Atmung so vollkommen unter Kontrolle hat, daß ihm alles erlaubt scheint, vom hauchdünnen Pianissimo über das „messa di voce“ (das kontinuierliche An- und Abschwellen des Tones) bis hin zum heldendramatischen Ausbruch, das war eine Lehrstunde und eine helle Freude. Noch schöner war, für welche Interpretation er das alles einsetzte: Franz Schuberts Zyklus „Die schöne Müllerin“, jene romantische, von Wilhelm Müller als „Liednovelle“ gedichtete Geschichte, bei der der dem Bächlein nachwandernde Müllersbursche auf die schöne Müllerstochter trifft, die aber bald darauf ihre Gunst dem Jäger schenkt, welcher Umstand den Müllersburschen in den Tod treibt.

Holzmair ging bei deutlichster Deklamation vom Text aus, noch die schönsten Melodien – und von denen gibt es eine Menge in dem Zyklus – unterlagen fast rezitativischer Textaussprache. Was ihn – wiederum perfekt – nicht hinderte, mit seinem ungemein flexiblen Atem gleichzeitig das bruchlose Fortspinnen von Legatolinien zu garantieren. Diese Art von musikalischer Sprachbehandlung deutet am besten Müllers volkstümliche Dichtung, die Heinrich Heine so sehr schätzte. Und sie kommt am ehesten den sehr konkreten Gesangsforderungen Schuberts selbst nahe, der, wie Leopold Sonnleither berichtete, „nie heftigen Ausdruck im Vortrage gestattete“. Raffinierte Unbeschwertheit mag ein Paradox sein, hier gab es sie: Die Natürlichkeit Holzmairs erlaubte ihm einen weiten Ausdrucksradius zwischen Ausbruch und Reflexion, „für's Herze vollauf genug“, wie es im vierten Lied heißt.

Als nach „Mein!“ der Beifall rauschte, war die Entwicklung und Organik der sensiblen Interpretation zerstört. Nach „Mein!“ folgte das Stück „Pause“ - und das Publikum deutete das als handfeste Konzertpause. Welcher für Programmheftgestaltung zuständige Grafiker löst in seinem Layout dieses immer mal wieder auftretende Problem?

Die Pianistin Imogen Cooper war eine einfühlsame Partnerin. Sie zeigte aber weder besonders Akzentuierendes noch große Lust an Dialogen. Den Klavierklang hätte man sich also bunter, kräftiger, insgesamt eigenständiger und vielseitiger gewünscht. Viel Beifall im nur halbvollen Saal: ein besonderes Lob für die Geschäftsführerin der Glocke Ilona Schmiel, die sich von dem schlechten Besuch der Liederabende nicht abhalten läßt, nächstes Jahr wieder einen vielverprechenden Zyklus anzubieten: Steter Tropfen höhlt den Stein.

Ute Schalz-Laurenze