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Reclaim the Memhardstraße

■ Bei einer Straßenparty feierten am Samstag rund 700 Leute mit Musik und Tanz gegen die Ödnis der Innenstadt an. Polizei hielt sich zurück

Rund 700 tanzwütige Demonstranten eroberten am Samstag eine Straßenkreuzung in Mitte als Partyort. Vier Stunden lang blockierte die „reclaim the streets party“ mit Musik, Tanz und Federballspiel die Münzstraße Ecke Rosa-Luxemburg-Straße für den Verkehr. Die unangemeldete Straßenparty verlief friedlich, zu größeren Auseinandersetzungen mit der Polizei kam es nicht. Das politische Ziel der Veranstaltung – per Party gegen die wachsende Ödnis der Innenstadt anzufeiern – wurde erreicht, die Organisatoren sind „total begeistert“.

Flyer und Plakate hatten seit Wochen für die Party geworben. Wo diese genau steigen sollte, war den meisten Gästen bis zuletzt völlig unklar. Angekündigt war nur der Treffpunkt: um 13 Uhr an der Welttzeituhr. Dort herrschte dann ein Gedränge, „das Berlin seit den 20er Jahren auf dem Alexanderplatz nicht mehr gesehen hat“, wie Partygast Matthias K. erfreut feststellte.

Weder die Polizei noch die Duisburger Fußballfans wußten, wohin es gehen sollte, als die Menge sich gegen 14 Uhr langsam in Bewegung setzte. Die tanzende Masse überquerte die Karl-Liebknecht-Straße und strömte zur dahinterliegenden Kreuzung Memhardstraße Ecke Rosa-Luxemburg-Platz, die bereits von einem Lautsprecherwagen mit moderner Musik beschallt wurde. Partyhelfer spannten in Windeseile geblümte Banner mit der Aufschrift „reclaim the streets“ über die Straße und sperrten so den Verkehr aus. Im Nu war das Straßenfest in vollem Gange: Ein bunter Haufen tanzender Menschen, umherfliegende Fußbälle, Luftschlangen, Seifenblasen und Jongliererei bestimmten das Bild.

Um was es ging, konnte man auf der Straße nachlesen. In Kreide und Farbe waren Sprüche wie „Autos fressen Leben“ oder einfach „Na, du kleines Ökoschweinchen“ gemalt worden. An den Fenstern der umliegenden Plattenbauten ließen sich bald vereinzelte Anwohner im Unterhemd blicken, die vergnügt oder verwundert der Partygesellschaft drunten auf der Straße zusahen. Ein Passant in Wildlederjacke fand es sogar „gut, wenn Zivilisationskonflikte sich so friedlich äußern“.

Auch die Polizei, die mit Mannschaftswagen die Zufahrt vom Alexanderplatz sperrte, verhielt sich zurückhaltend. „Das ist doch besser, als wenn wir alles auseinanderpflücken würden“, meinte ein Polizist. Schließlich habe jeder Bürger das Recht, sich spontan zu versammeln. Außerdem seien viele Polizisten wegen des am Abend stattfindenden Fußballspiels im Einsatz.

Gegen 18 Uhr räumte der Wagen mit der Musikanlage die Kreuzung. Partywillige folgten dem Gefährt durch die Straßen, bis mit etwa 300 Leuten in der Brunnenstraße die Party ein Ende fand. Hier solidarisierte sich ein Gemüsehändler spontan mit den Gästen und verschenkte seine Orangenvorräte.

Als die Polizei die Feiernden zum Gehen aufforderte, löste sich die Party gegen 19 Uhr weitgehend auf. Trotzdem sei es zu fünf Verhaftungen gekommen, wie der Ermittlungsausschuß (EA) mitteilte. Von der Polizei konnte diese Angabe nicht bestätigt werden.

Am Samstag wurden weltweit in über 30 Städten wie Melbourne, Seattle und Prag öffentliche Räume mit global street parties für kurze Zeit zurückerobert. Kirsten Küppers

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