„Lachen Sie nicht!“

Vereinigung komplett, Welt wieder in Sicht: In München versuchte der PEN, sich von der Nabelschau abzunabeln  ■ Von Jörg Magenau

Na also. Geht doch: 97 Jastimmen, zwei Nein, vier Enthaltungen. Damit hat, einen Monat nach dem Ost-PEN, auch die Westhälfte der Vereinigung beider deutschen PEN-Zentren zugestimmt. Kaum zu glauben, daß es bis zu diesem nüchternen Resultat acht Jahre dauerte, so einmütig ging es auf dem Münchner Kongreß zu. Die Gegner blieben entweder zu Hause oder sind – wie Ex-Präsidentin Ingrid Bachér – ausgetreten. So hält man es im PEN mit der Demokratie: Wem ein Entschluß nicht paßt, der geht, mit der Folge, daß es noch langweiliger wird im Auditorium.

„Laßt Ernst und Heiterkeit sich friedlich mischen“, mahnte Präsident Karl Otto Conrady zu Beginn in dem klassischem Sprachduktus, den man hier zu schätzen weiß. In einer rundum abgefederten Rede griff er bereits alle möglichen Einwände auf und wendete sie so lange hin und her, daß in der Folge niemand mehr etwas hinzufügen konnte. Von einer „tragischen Situation“ sprach er: Egal, wie man sich entscheide, weitere Austritte seien unweigerlich die Folge. Für den Fall einer Fusion hatte Erich Loest den Austritt angedroht, im Fall eines erneuten Scheiterns, mit dem man sich in der Öffentlichkeit unwiderruflich lächerlich gemacht hätte, wollte Johannes Mario Simmel den Club verlassen.

Der Einheit und dem eigenen Entschluß, keine ehemaligen Stasispitzel zu akzeptieren, standen jedoch immer noch zwei Mitglieder des Ost-PEN entgegen: der Verlagsleiter Hans Marquardt und der trotzige Bauerndichter Erich Köhler, der auf der Ost-Tagung zwar attackiert und bloßgestellt wurde, sich aber standhaft weigert, auszutreten, „solange der Bundesgeier auf dem Staatsratsgebäude weht“. Ausschlüsse aber will man im Osten aus historischen Gründen nicht praktizieren, was die Westler „respektabel“ finden. Soll man also wegen zweier Problemfälle auf seinen Prinzipien beharren?

„Breiten wir den Mantel atheistischer Nächstenliebe unter historischer Perspektive um den Fall Köhler“, meinte Jörg Drews. Otto Köhler, der unter der Namensverwandtschaft mit Erich schwer zu leiden hat, wollte ihn „als gerechte Strafe für die Arroganz“ verstanden wissen, „mit der wir mit den Ossis umgehen“. Und Arnfried Astel, Lyriker und Rundfunkredakteur, erinnerte sich, wie er Erich Köhler einmal für eine Radiosendung auf seiner LPG besuchte und ihn zum „frühmarxistischen Angeln in einem Wassergraben“ begleitete. Das war wohl ganz nett damals, Köhler war „treuherzig und naiv“ und fütterte den Hund mit winzigen Fischen. All das, so Astels Lehre – „lachen Sie nicht!“ –, gehöre zu dem, was ein Mensch ist. „Ich habe keine Probleme, mit Verrätern zusammenzusein. Ich tue das täglich.“

Für alle, die mehr Probleme damit haben, wurde eine Zusatzresolution verabschiedet, die noch einmal bekräftigt, daß die Fusion nicht bedeutet, an der Verurteilung geheimdienstlicher Tätigkeit Abstriche zu machen. Damit hofft man, Leute wie Loest doch noch umzustimmen. Außerdem gibt es in der neuen Satzung des PEN einen Ausschlußparagraphen. Im Fall von Verstößen gegen die PEN-Charta soll in Zukunft ein Ehrenrat eingesetzt werden, der die Vorwürfe prüft. Die Mitgliederversammlung kann dann mit Zweidrittelmehrheit den Ausschluß durchsetzen. So ist zu erwarten, daß sich der neue, gemeinsame PEN auf seiner konstituierenden Sitzung im Herbst erneut mit dem Fall Köhler befassen wird.

Abzusehen ist aber auch, daß der Ausschlußparagraph eine Einladung für alle Denunzianten ist. Leonhard Fiedler bot schon mal einen Vorgeschmack, als er den Antrag stellte, den Verleger KD Wolff (Stroemfeld/Roter Stern) wegen „unglaublicher Schweinereien“ auszuschließen. Der Hinweis, daß Wolff gar kein Mitglied des West-PEN ist und deshalb auch nicht ausgeschlossen werden kann, hielt ihn nicht zurück. Wolffs Verbrechen besteht darin, eine Faksimile-Ausgabe von Kafkas Werken machen zu wollen. Vergeblich bemühte er sich, vom Kurator der Kafka- Handschriften, Sir Malcolm Pasley, eine Genehmigung zur Faksimilierung zu erhalten. Pasley ist Herausgeber der Werkausgabe im Fischer Verlag. Fiedler wiederum ist mit Pasley befreundet und gab nun Wolff und dessen „Kampagne“ die Schuld daran, daß Pasley todkrank sei. Will man Genaueres wissen? Nein. Die Versammlung fand in der Not der Peinlichkeit zu einer weisen Idee: Wer in Zukunft den Ausschluß eines Mitglieds fordert und damit nicht durchkommt, soll selbst den Hut nehmen.

Solche Probleme werden den PEN noch einige Zeit beschäftigen. In München war aber auch bereits der Wille zu spüren, sich nach der langdauernden Phase der Nabelschau wieder politisch einzumischen. Fred Breinersdorfer, Vorsitzender des Schriftstellerverbands und eine Art Lothar Matthäus seiner Zunft, formulierte es so: „Ich schaue als jüngeres Mitglied gern in die Zukunft, bei allem Respekt vor der Vergangenheit.“ Um den Erhalt der Buchpreisbindung soll es in dieser Zukunft gehen und um ein Kulturministerium in Bonn. Ein Antrag, sich für einen „Kulturbeauftragten“ in Bonn stark zu machen, wurde auf Anregung von Günter Grass und Hildegard Hamm-Brücher umgeformt. Die zukünftige Regierung wird nun aufgefordert, alle kulturellen Verantwortlichkeiten des Bundes zu bündeln und dem Bildungsministerium zuzuschlagen.

Als noch wichtiger wurde ein Thema eingeschätzt, das niemand so richtig begriff: Die Verhandlungen der OECD-Länder über ein „Multilaterales Investitionsabkommen“. Dunkel ahnte man, daß die Schlacht um die Buchpreisbindung gegen dieses großangelegte „neue Manifest des Kapitalismus“ nur ein Vorspiel ist. Mit der dann drohenden Abschaffung von Schutzzöllen und nationalen Subventionen würden auch Kulturgüter endgültig in das Korsett bloßer Waren gezwängt. Eine nationale Filmförderung beispielsweise wird dann illegal sein. Da wollte man, auch ohne genauere Kenntnis, wenigstens resolutionsförmig dokumentieren, daß man dagegen ist. Die Welt, so erkannte der PEN erstaunt, hat sich in den acht Jahren, in denen er mit Vereinigungsquerelen ausgelastet war, weiterentwickelt. Fast schon versteht man sie nicht mehr.

Einen dringlichen, ernsten Tonfall, neben dem die deutsche Sorge um Erich Köhler recht unbedeutend erschien, brachte der Ehrengast Faradsch Sarkuhi in die Debatte. Der iranischer Haft entkommene Autor dankte dem „Writers in Prison“-Komitee des PEN für sein Engagement und löste große Rührung aus, erschien er doch als lebender Beweis für die Wirksamkeit von Resolutionen. Mit einem Pathos, das kein hiesiger Schriftsteller noch anzuschlagen wagt, sprach er über die „magische Kreativität“ der Autoren, über das Ringen um „Wahrheit und Wirklichkeit“. Doch seltsam: In der Freiheit vorgetragen, verlieren diese Worte ihre Kostbarkeit. Die PEN-Mitglieder blätterten in Zeitungen und studierten ihre Papiere. Draußen vor der Tür lag eine Resolution zur Unterschrift bereit, die gegen den Anschlag zweier Attentäter auf den türkischen Bürgerrechtler Akin Birdal protestierte. Man mußte bloß aufpassen, nicht aus Versehen die Anmeldung zum gemeinsamen Mittagessen zu unterschreiben. Die lag gleich daneben.