Atomtests spalten den G-8-Gipfel

■ Industrienationen verurteilen indische Atomtests, können sich aber nicht auf gemeinsame Sanktionen einigen. Pakistan kündigt eigene Atomtests an. Bundeskanzler Kohl behauptet, Pakistan habe die Bombe schon gezündet

Birmingham/Delhi (dpa/taz) Die sieben wichtigsten Industrienationen und Rußland haben sich bei ihrem G-8-Gipfel in Birmingham nicht auf eine gemeinsame Reaktion zu den indischen Atomtests einigen können. In einer Erklärung des Gipfels, der gestern zu Ende ging, wurde kein gemeinsames Sanktionsprogramm gegen Indien empfohlen, obwohl die USA und Japan zuvor Sanktionen gegen Indien angekündigt hatten. Die Gipfelteilnehmer äußerten lediglich ihre „tiefe Besorgnis über das gestiegene Risiko nuklearer Proliferation in Südasien und anderswo“ und riefen „Indien und die anderen Staaten in der Region“ auf, „von weiteren Tests und der Aufstellung atomarer Waffen oder Raketen Abstand zu nehmen“. Der britische Rundfunksender BBC berichtete, die westeuropäischen Gipfelteilnehmer und Rußland hätten sich gegen die harte Haltung der USA und Japans gewandt.

Pakistan, das seit 1987 ebenfalls als Atommacht gilt, äußerte scharfe Kritik an der Haltung des G-8-Gipfels. Ein Sprecher des pakistanischen Außenministeriums sagte, Pakistan sei „überrascht“ über die Resolution. Die pakistanische Regierung hat in der Vergangenheit klargemacht, daß die Schärfe der internationalen Reaktion auf Indiens Atomtests ein Schlüsselfaktor bei der Entscheidung darüber sei, ob Pakistan nun selbst Atomtests durchführen werde.

Die pakistanische Regierung dementierte gestern eine Behauptung von Bundeskanzler Helmut Kohl, der zum Gipfelabschluß in Birmingham gesagt hatte, „seriösen Nachrichten“ zufolge habe Pakistan bereits einen Atomtest gezündet. Dies sei ein „absichtlich gestreutes Gerücht“, hieß es dazu aus Pakistan. Pakistan stellte jedoch klar, man habe sich bereits für einen eigenen Atomtest entschieden. „Es fragt sich nur noch wann, nicht ob“, sagte Außenminister Gohar Ayub Khan gestern.

Bundeskanzler Kohl verteidigte trotz der jüngsten Entwicklung in Pakistan die dürftige Resolution des Gipfels. „Es ist nicht bewiesen, daß ein anderer Text die Pakistanis abgehalten hätte“, sagte er. „Die nationalistische Politik, die jetzt in beiden Ländern schlimme Urstände feiert, ist ganz unbeeindruckt von dem, was wir hier sagen.“

Indien hatte am Montag und Mittwoch fünf Sprengsätze getestet. Am Sonntag bestätigten auch die verantwortlichen Wissenschaftler in Neu-Delhi, daß unter den Sprengsätzen eine Wasserstoffbombe mit einer Sprengkraft von 43 Kilotonnen TNT war. Der indische Ministerpräsident Atal Behari Vajpayee erklärte sein Land zum Atomwaffenstaat. Außerdem sagte Vajpayee, es werde keine weiteren indischen Atomtests geben. Sein politischer Sekretär Brijesh Mishra bot Pakistan an, über den Verzicht auf den Ersteinsatz von Atomwaffen zu reden. Bericht Seite 10