„Gemäß den Gepflogenheiten“

■ Wenn die CDU tagt, gibt's 30 Minuten im TV – egal, was passiert

Immer, wenn PDS-Pressesprecher Hanno Harnisch einen Parteitag vorbereitet, schreibt er einen freundlichen Brief an die Chefs von ARD und ZDF. Darin nennt er Termin und Ort des nächsten Parteitages und bittet um „die Sonderberichte gemäß den Gepflogenheiten“. Eine 15minütige Sondersendung in beiden Programmen. Ob der ganze Aufwand mit all den Kamerateams und Ü-Wagen jedesmal nötig sei, könne zwar journalistisch bezweifelt werden: „Aber politisch finde ich das hervorragend.“

Daß die Parteien bei ARD und ZDF in der ersten Reihe sitzen, kann regelmäßig bei der Besetzung hoher Intendanten-, Programmdirektoren oder Chefredakteursposten bestaunt werden – dann wird das Parteibuch zur wichtigsten Qualifikation. Indes ist heute einer der wenigen Tage im Jahr, an denen sich die Öffentlich- Rechtlichen auch gleich noch die Dauer ihrer Sendungen diktieren lassen: Vom Bremer CDU-Parteitag werden ARD (23 Uhr) und ZDF (22.15 Uhr) 30 Minuten berichten. Ganz egal was, dort passiert und ob ringsherum die Welt untergeht.

Laut ZDF-Chefredakteur Klaus Bresser gibt es eine „seit langem getroffene Regel“, daß die großen Parteien CDU und SPD Anspruch auf je 30 Minuten Berichterstattung haben und die anderen Bundestagsparteien CSU, Grüne, FDP und PDS je 15. Allerdings gelte das nur für einen Parteitag pro Jahr.

Nicht daß etwa die FDP, die dieses Jahr gleich drei der Jubeltage veranstaltet, gleich drei Sondersendungen kriegt: Das wäre dann wohl doch des Guten zuviel. So suchte FDP-Sprecher Hans-Rolf Goebel den Parteitag Ende August in Bonn für die Sondersendung raus. Bei der CDU heißt es indes, so ganz sicher sei das noch nicht, daß es nicht auch im November eine Sondersendung geben werde. Obwohl das Privileg ja eigentlich schon heute abend verbraucht wird.

Warum die Öffentlich-Rechtlichen sich solche Regeln auferlegen, ist unklar. Schließlich können Kollegen vom Privatfernsehen wie RTL-Vizechefredakteur Achim Tirocke getrost sagen, sie entschieden rein nach der journalistischen Wertigkeit eines Parteitages. Darin ist bei ARD und ZDF offenbar nicht zu denken. Ein CDU- Mann spricht gar von einem „ungeschriebenen Gesetz“, und ein ARD-Journalist meint, das mit den Sonderberichten sei ja schon seit „Menschengedenken“ so.

FDP-Sprecher Goebel sagt, er habe noch nie erlebt, daß ein Parteitagsbericht die Berichterstattung eines anderen tagesaktuellen Ereignisses in Mitleidenschaft gezogen habe: Diese Vermutung sei „an den Haaren herbeigezogen“.

Aus einer anderen Partei heißt es, die Sonderberichte gingen sicherlich auf irgendwelche Staatsverträge zurück. So etwas hat Werner Hahn, der Justitiar des NDR, noch nie gehört. Daß es rechtswirksame Bestimmungen gäbe, die zur minutengenauen Berichterstattung über Parteitage verpflichten, wäre ihm fremd. Und zudem auch nur schwerlich mit der Rundfunkfreiheit zu vereinbaren. „Nicht jedes ,Parteitagsblabla‘ kann zwingend 30 oder 15 Minuten ergeben.“ Georg Löwisch