Der Jud muß hängen!

Heutzutage träumen viele Politiker davon, einen George Soros zur Strecke zu bringen. Ihre Vorgänger im 18. Jahrhundert waren weniger zimperlich mit ihren zeitgenössischen Finanzgenies  ■ Von Andrea Goldberg

Manchmal wird die Wahrheit eben doch von der Dichtung übertroffen. Auf sehr ähnliche Art haben Lion Feuchwangers großartiger Roman und Veit Harlans von Goebbels inspirierter Film dazu beigetragen, die historische Gestalt Joseph Süß Oppenheimer von der Wirklichkeit abheben zu lassen. Die jetzt vorliegende akribische Dokumentation des Historiker und Theologen Hellmut Haasis ist ein großer Schritt zur Demythologisierung einer wichtigen und exemplarischen Randfigur der deutschen Geschichte.

Der – natürlich – unter dem Schimpfnamen „Jud Süß“ bekanntgewordene Finanzmakler und Regierungsberater war weder der Goebbelssche Dämon noch der skrupellose Ausbeuter aus Feuchtwangers Erzählung. Joseph Süß (1698–1738) war schlicht und einfach ein genialer Kaufmann, der mit unglaublicher Energie und großer Risikobereitschaft die vielfältigsten Finanz- und Warentransaktionen betrieb.

Zwei hartnäckige Mythen, die Haasis gleich ausräumt, sind Süß' vermeindliche Abstammung als unehelicher Sohn eines Freiherrn und seine Lehre beim internationalen Handelshaus der – sehr entfernt verwandten – Wiener kaiserlichen Hoffaktoren Oppenheimer.

Die prosaische Wirklichkeit ist ein Selfmademan, dem jede Ware – ob Getreide, Armeezelte oder Diamanten – recht war, dem kein Finanzgeschäft – ob Pacht des kurpfälzischen Stempelpapiers oder Handel in dubiosen Wechseln – zu kompliziert war. Und der schließlich auch beides miteinander zu verbinden wußte, indem er als privater Goldimporteur für verschiedene Fürstenhäuser die Goldmünzen prägen ließ.

Sein ganzes Imperium war auf Pump und das persönliche Vertrauen, das er in führenden Handelsstädten wie Amsterdam und Frankfurt genoß, aufgebaut. Eigenes Kapital hatte er kaum; die Masse der Transaktionen mußte seine hohen Repräsentationskosten (der deutsche Adel wollte gut geschmiert und imponiert werden) decken.

Weil seine Stellung als Hoffaktor und Berater des württembergischen Kurfürsten Carl-Alexander zu seinem Unglück geführt hat, wird dies fälschlicherweise oft als Haupttätigkeit und Lebenszweck Joseph Süß' dargestellt. In Wirklichkeit hatte Süß schnell erkannt, daß der protestantische Ständestaat, dessen Bürokratie im Dauerkonflikt mit dem katholischen Herrscher lag, für einen jüdischen Geschäftsmann ein ungünstiges Pflaster war. Die Daten illustrieren das: Im Dezember 1733 zieht Carl- Alexander als Kurfürst nach Stuttgart. Joseph Süß wird persönlicher Finanzrat des Herzogs und sein Resident in Frankfurt. Eine Position in der Württemberger Verwaltung kommt für ihn nicht in Frage, und oft ist es auf ausdrückliche Bitten des Herzogs, daß Joseph Süß sich nach Stuttgart begeben muß, um diesem zu Diensten zu sein und bei Laune zu halten. Den umtriebigen Juden kostete das vor allem wertvolle Zeit.

Der Herzog, kaiserlicher Reichsfeldmarschall und ehemaliger Statthalter in Belgrad, war keinesfalls der einfältige und gutgläubige Provinzfürst, als der er zumeist in der Literatur in Erscheinung tritt. Carl-Alexander schätzte die nüchterne Intelligenz und das selbstbewußte Auftreten des eruditen, kosmopolitischen Joseph Süß und hätte ihn sich zwischen all den bigotten Prälaten und umständlichen Landstandsbeamten zu gerne als seinen Hofjuden gehalten. Doch dieser Käfig war erstens alles andere als vergoldet und zweitens viel zu eng für einen Finanzmakler vom Niveau eines Süß. Folgerichtig bittet Süß bereits im Mai 1735 um seine Entlassung. Er wird diese Bitte ständig wiederholen, bis der Kurfürst am 12 März 1737 mitten auf einem Fest in seinem Palast in Ludwigsburg plötzlich stirbt.

Noch auf dem Weg in seine – gemietete – Stuttgarter Unterkunft wird Joseph Süß verhaftet. Die Aktion folgt der eisernen Logik, nach der die protestantischen Landstände, wenn sie gegen die katholische herzogliche Familie revoltieren, als ersten den jüdischen Berater greifen. Es folgt ein schlecht getarnter Justizmord. Während elfmonatiger Haft und endlosen Verhören gibt es nicht einen konkreten Anklagepunkt. Es wird gesprochen von „Präpotenz“ (Amtsanmaßung) und „Ratschlägen wider die Landschaft“ (genau dazu hatte der Herzog Süß persönlich in Dienst genommen). Wenn es um Nachprüfbares wie die Münzgeschäfte geht, stellt sich heraus, daß die Richter keine Unregelmäßigkeit entdecken können.

Der Erlaß des verstorbenen Herzogs, der Joseph Süß Straffreiheit zusicherte, wird ignoriert; ein nichtwürttemburgischer Anwalt wird dem Angeklagten verwehrt; der Pflichtverteidiger weigert sich, beim übergeordneten Reichsgericht Berufung einzulegen: Joseph Süß muß hängen.

Punkt 10 der vagen Anklage hieß „Vita privata“. 200 Jahre später sollte die deutsche Rechtsprechung in diesem Punkt deutlicher werden: „Rassenschande“. Wenigstens in diesem Punkt wurde der Beweis während Süß' Haft geliefert: Seine nichtjüdische Lebensgefährtin gebar einen Sohn. Trotz des von den Behörden „verwalteten“ Vermögens des Angeklagten wurden Mutter und Kind unter solch erbärmlichen Bedingungen eingekerkert, daß das Baby noch vor dem Vater verstarb.

Wer Beweise nach einer Tradition des mörderischen Antisemitismus in Deutschland sucht, wird in Haasis' ausführlich recherchierten Studie fündig. Schade nur, daß die Auswertung der Prozeßakten zwar ein sehr genaues Bild des Sexualverhaltens des Justizopfers an den Tag brachte, dagegen nur sehr Allgemeines und oft Widersprüchliches über die viel relevanteren Geschäfte eines der größten Finanzgenies des 18. Jahrhunderts. Doch das kann man nicht dem fleißigen Autor anlasten; es ergibt sich aus dem pervertierten Geist der damaligen Württemberger Justiz.

Hellmut G. Haasis: „Joseph Süß Oppenheimer, genannt Jud Süß, Finanzier, Freidenker, Justizopfer“. Rowohlt 1998, 48 DM