Für Arzneiversuche brave Ärzte gesucht

Bundesregierung will Prüfverfahren mit Ethikkommissionen vereinfachen: Pharmakonzerne können sich künftig aussuchen, wer ihre Versuche beurteilen soll. Gefahr für Testpersonen?  ■ Aus Frankfurt am Main Klaus-Peter Görlitzer

Bevor der Wahlkampf endgültig die Politik ablöst, soll der Bundestag Ende Mai oder Anfang Juni noch eine wichtige Reform beschließen: die „Achte Novelle des Arzneimittelgesetzes“ (AMG). Vor Nebenwirkungen des Regierungsentwurfs warnt jedoch die gesundheitspolitische Sprecherin der Bündnisgrünen: „Die Schutz- und Grundrechte der Menschen bei klinischen Prüfungen von Arzneimitteln“, so Marina Steindor, „sollen hinter dem vorgeblichen biomedizinischen Fortschritt und den wirtschaftlichen Interessen zurückstehen.“

Die grüne Abgeordnete kritisiert, was das Kabinett „aus Gründen der Verfahrensökonomie und -transparenz“ für geboten hält: Künftig soll es ausreichen, wenn vor Beginn einer Studie über Wirkungen und Verträglichkeit eines Arzneimittels die „zustimmende Bewertung“ derjenigen Ethikkommission vorliegt, die direkt für den Leiter der klinischen Prüfung zuständig ist. Bislang ist mehr Aufwand nötig: Bei „multizentrischen Studien“, die in Kliniken und Praxen mehrerer Städte gleichzeitig stattfinden, müssen forschungswillige ÄrztInnen die Stellungnahmen aller zuständigen Ethikkommissionen vor Ort einholen. An solchen Forschungsprojekten können je nach Versuchsphase zwischen 1.000 und über 10.000 Testpersonen teilnehmen, Ethikkommissionen gibt es bei den Landesärztekammern, Uni-Kliniken und großen Krankenhäusern.

„Besonders befürwortet“ wird die geplante Reform vom Verband der Forschenden Arzneimittelhersteller (VFA), deren Mitgliedsfirmen einen Großteil der Studien initiieren und bezahlen. Im VFA sind 38 weltweit agierende Pharmahersteller organisiert, darunter Bayer, Hoechst, Merck und Schering. Seit Jahren beklagt der VFA, daß die verschiedenen Ethikkommissionen ihre Voten nicht automatisch untereinander anerkennen. Das „Kompetenzgerangel“ erschwere „die Durchführung klinischer Studien“.

Völlig anders sieht das die Gesundheitspolitikerin und Ärztin Marina Steindor; ihrer Ansicht nach liegt die Vielfalt der Ethikkommissionen im Interesse der PatientInnen. Steindor stützt sich auf eine Stellungnahme des Arztes Johannes Spatz von der Berliner Gesundheitsbehörde. Spatz hatte bei einer Anhörung im Bonner Gesundheitsausschuß Anfang April prophezeit: „Wenn in Zukunft ein Votum ausreichen sollte, kann sich die Pharmaindustrie eine ihr genehme Ethikkommission aussuchen, entsprechend könnten besonders anspruchsvolle Ethikkommissionen ausgeschaltet werden.“ Dadurch könne es für Testpersonen „unter Umständen zu einer sehr gefährlichen Erhöhung des Sicherheitsrisikos“ kommen.

Zum Beleg verweist Spatz auf Erfahrungen der Landesethikkommission von Bremen. Dieses Gremium, das laut Spatz „zu den anspruchsvollen zählt“, habe sich 1997 in mehreren Fällen gezwungen gesehen, Studienanträge abzulehnen, die andernorts bereits Zustimmung erhalten hatten. So seien bei zwei geplanten Studien, die die Sicherheit eines neuen Antidiabetikums überprüfen sollten, keine Laborkontrollen vorgesehen gewesen. Die Skepsis der Bremer wurde im nachhinein offenbar bestätigt: Denn einige Monate später, so Spatz, sei das zu testende Arzneimittel, das in den USA bereits zugelassen war, wegen Häufung schwerster Leberschäden vom Markt genommen worden.

Trotz solcher Bedenken sieht es ganz danach aus, als sollten die meisten Bundestagsabgeordneten den Wünschen der Pharmahersteller folgen und den bisher möglichen, aber keineswegs immer praktizierten Prüfpluralismus der Ethikkommissionen beenden. 1994, als das AMG zum fünften Male reformiert wurde, war ein entsprechender Vorstoß noch gescheitert – am Widerstand des Bundesrates. Heute schweigt die SPD-dominierte Länderkammer: Ihre schriftliche Stellungnahme zur AMG-Novelle spart das Thema Ethikkommissionen einfach aus.