Schnitzel aus der Tube Von Carola Rönneburg

Als ich mich im besten Grundschulalter befand, wußte ich über das Jahr 2000 genauestens Bescheid. Exakt zu diesem Zeitpunkt würde nämlich die Zukunft Wirklichkeit sein. Im Jahr 2000 würde die Menschheit im Grünen unter weitläufigen Glaskuppeln wohnen und mit kleinen, autoscooterähnlichen Fahrzeugen geräuschlos zwischen ihnen herumfliegen; achtarmige Roboter würden den Müll herunterbringen, spülen und staubsaugen, und die Pommes kämen nicht aus der Gefriertruhe, sondern aus der Tube. Mit Mayo, natürlich.

Immer wieder rechnete ich nach, wie alt ich im Jahr 2000 sein würde: Die Chancen, eines Tages auf einem superschnellen Förderband zur Schule zu fahren, standen nicht einmal schlecht, und auf dem Mond, der seit einiger Zeit Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen vor Ort war, würde sich bis dahin sicherlich auch noch einiges getan haben.

Inzwischen glaube ich, daß ich vielleicht doch etwas zu voreilig war. Zwar ist das Jahr 2000 nach wie vor sozusagen topaktuell, bedauerlicherweise aber nur in Verbindung mit schlechten Nachrichten. Auf das Wunder von Bonn, die Arbeitslosenzahlenhalbierung, setzt kein Mensch mehr auch nur einen Pfifferling oder einen Spargel, und ausgerechnet die Technik, die doch die Zukunft ermöglichen sollte, versagt jämmerlich: Wenn man den Warnungen der Computerexperten Glauben schenken darf, dann werden wir Silvester 1999 ganz gräßliche Datumsgrenzerfahrungen machen, wobei der prophezeite mehrstündige Stromausfall – ein schwacher Trost für jeden Gefriertruhenbesitzer – noch zu den geringsten Übeln zählen soll.

Der plötzliche Wechsel ins Jahr 0, den die Computer ohne die sonst übliche alberne Rückfrage („Wollen Sie wirklich das Datum wechseln?“) vollziehen werden, wird Büchereiausweise und Monatsumweltkarten ungültig machen, Dispositionskreditzinsen werden nachträglich noch einmal ganz neu berechnet und dann auf einen Schlag abgebucht, nach 24 Uhr geborene Kinder erhalten eine amtliche Aufforderung, ihre Rentennachweise einzureichen, und werden unbarmherzig von Behörden verfolgt.

Vor allem aber ist die Welt noch so weit von der Zukunft entfernt, daß nicht einmal mehr Elektrogerätehersteller es wagen, eine neue batteriebetriebene Zahnbürste „Dental 2000“ zu nennen – 2000 klingt einfach nicht mehr zeitgemäß.

Und überhaupt, wo sind sie denn, die Prototypen des vollautomatischen Haushalts, in dem das Badewasser einzulaufen beginnt, wenn man nur daran denkt? Warum müssen wir noch immer selber staubsaugen, obwohl das doch eindeutig die Aufgabe des Achtarmigen ist, der dabei gleichzeitig auch noch ein Kilo Erbsen pult – von der Tubenvision habe ich mich schon länger getrennt – und Pullover mit aufwendigen Jacquardmustern strickt? Wo bleibt das elektronisch gesteuerte und folglich stubenreine Meerschweinchen für den Nachwuchs, wo das schöne autoscooterähnliche Flugmobil, mit dem ich am 31.12. 1999 zu meiner Silvesterparty sausen wollte?

In den verbleibenden neunzehn Monaten, fürchte ich, ist das alles nicht mehr zu schaffen. Die Lösung lautet also: 2000 muß verschoben werden.