Tony Blair und die Schwänzerpatrouillen

■ Wer der Schule fernbleibt, ist anfälliger für Kriminalität als eifrige Schulbesucher. Per Gesetz und mit Elektropiepern wollen die Briten der verbreiteten Schulschwänzerei beikommen

Schulschwänzer soll es in Großbritannien künftig an den Kragen gehen. Die Regierung in London hat ein Gesetz eingebracht, das es der Polizei ermöglichen soll, säumige SchülerInnen einzukassieren und in die Schule zu bringen. Bei Wiederholungstätern könnten, falls das Parlament den Entwurf absegnet, die Eltern dazu verdonnert werden, an Elternkursen teilzunehmen und das Kind jeden Morgen am Schultor abzuliefern. Eine andere Möglichkeit sind elektronische Pieper, mit denen Eltern alarmiert werden können, falls ihre Kinder aus der Schulanstalt abgehauen sind.

Eine Million britische Kinder schwänzen jedes Jahr die Schule. Vor dem Gesetz sind die Eltern dafür verantwortlich. Premierminister Tony Blair sieht im Schulschwänzen den ersten Schritt ins Verbrechen. Wer der Schule fernbleibt, sei dreimal anfälliger für Straftaten als MusterschülerInnen, sagte Blair. Mit Hilfe des Gesetzesentwurfs soll die Schulschwänzerei bis 2002 um ein Drittel gesenkt werden. Außerdem will das Innenministerium die Schulen dazu anhalten, weniger Verweise auszusprechen. 100.000 Kinder fliegen jedes Jahr von der Schule – 13.000 für immer.

Margaret Bleet, Bildungsbeamtin im Londoner Stadtteil Hackney, einer Hochburg für Schulschwänzerei, sieht in den „Schwänzerpatrouillen“ und Elektronikpiepern lediglich eine Behandlung der Symptome. Ihr Büro versucht dagegen, den Ursachen auf den Grund zu gehen. „In neun von zehn Fällen gibt es einen guten Grund für die Schwänzerei“, sagt sie. Ihrer Meinung nach werden die Grundlagen für die Schwänzerei viel früher gelegt als bisher angenommen. Deshalb konzentriert sie sich auf die oberen Grundschulklassen: Das sei die anfällige Zeit, so haben Untersuchungen ergeben, und wenn man rechtzeitig eingreift, können spätere Probleme oft vermieden werden. Unter anderem bieten Bleet und ihre MitarbeiterInnen in Hackney Beratungskurse für die ganze Familie eines Schulschwänzers an. Oder sollte es bei der Regierungsinitiative gegen Schwänzerei am Ende ums Geld gehen? Will man verhindern, daß die kleinen Wertgegenstände ziellos und verlustbringend in der Stadt herumstreunen? Das Londoner Bildungsministerium verhandelt zur Zeit mit einem US- Unternehmen, das die Schulen mit den schlechtesten Leistungen Englands übernehmen und auf Profitbasis führen will. In den USA schöpft das Edison Project bereits sieben Prozent Gewinn von den Geldern der Schulbehörden ab. Darüber hinaus seien auch die Leistungen der SchülerInnen besser geworden, sagte Benno Schmidt, der Vorsitzende des Unternehmens. Eine halbleere Schule mit demoralisiertem Lehrpersonal in Kansas sei innerhalb von drei Jahren zu einer blühenden Lehranstalt mit einer Warteliste von 1.500 Kindern geworden. Bisher leitet das Edison Project 25 Schulen in den USA, im Herbst kommen weitere 20 hinzu.

In Großbritannien kämen 41 Schulen dafür in Frage. Bildungsminister David Blunkett will diese Schulen dichtmachen, weil sie mehr als zwei Jahre in Folge die Anforderungen des Ministeriums nicht erfüllt haben. Die Schulen sollen dann mit neuer Verwaltung und neuem Lehrpersonal wieder geöffnet werden. Ralf Sotscheck