Das Portrait
: Vom Bauarbeiter zum Popstar

■ Ibrahim Tatlises

„Schüsse auf populären kurdischen Volkssänger in Istanbul“, meldet die Nachrichtenagentur dpa. Unbekannte schossen gestern morgen bei einem Überholmanöver auf die Limousine des Sängers Ibrahim Tatlises. Eine Kugel habe den Benzintank nur knapp verfehlt. Wer waren die Täter? Waren es Nationalisten, die dem Sänger nicht verzeihen, daß er hin und wieder kurdische Lieder singt? War es eine Tat aus Eifersucht? Oder waren es Mafiosi, die in Tatlises' Wirtschaftsimperium lästige Konkurrenz ausschalten wollten? Der potentielle Täterkreis ist kaum einzugrenzen.

Einst war Tatlises aus der kurdischen Stadt Urfa ein Habenichts, der auf dem Bau schuftete. Lieder voller Leid sang er eben so vor sich hin. Doch sein Talent sprach sich herum, seine Stimme wurde entdeckt. Binnen weniger Jahre stieg Tatlises zum Star der türkischen Arabesk-Musik auf. Er wurde Symbolfigur der Millionen, die immer noch vom Land in die großen Städte ziehen und sich in Stadtrandghettos einrichten. Millionen Tatlises-Kassetten werden heute verkauft. Seine Fernsehshows erreichen enorme Einschaltquoten. Tatlises wurde reich. Neben einer Musikproduktionsfirma gehören ihm ein Tourismusunternehmen, eine Fast-food-Kette und ein Radiosender. Der Bauarbeiter aus Urfa lebt heute in Saus und Braus.

Heute lebt Tatlises mit einer „besseren Dame“ aus dem Showbusineß. Seine Kinder aus Urfa beschäftigt der Waffenliebhaber als Bodyguards und Schießgesellen. Auffällig häufig ist seine Familie in Mafia-Kriege verwickelt. Vor wenigen Monaten ging es heiß her, als die „Konkurrenz“ das Tatlises- Radio besetzte und wild in die Luft feuerte.

Manchmal macht Tatlises, der sich mit dem Herrschenden und Bestehenden arrangiert hat, auch Fehler: Wenn er in seiner Muttersprache Kurdisch singt oder von „Sinnlosigkeit“ im Zusammenhang sterbender Soldaten in den kurdischen Regionen redet. Einmal war er sogar wegen Unterstützung der PKK angeklagt. Er wurde freigesprochen.

Der Bestand seines Imperiums ist Tatlises wichtiger als Sprüche, die seine eigenen Identitätsprobleme an die Oberfläche bringen. So bleibt er ganz er selbst mit seinen unzähligen Kindern, Frauen, Waffen ..., und die Öffentlichkeit grübelt, wer die Schüsse auf ihn abfeuerte. Ömer Erzeren