■ Die CDU setzt auf Lagerwahlkampf und vertagt die wichtigen Fragen
: Ängstlicher Traditionalismus

Der Kampf um die Mitte hat begonnen. Denn so viel steht nach den Parteitagen von SPD und CDU fest: Wer die Mitte für sich einnehmen kann, der hat die Wahl gewonnen. Diese Mitte, das Objekt der Begierde, ist freilich nichts Vorfindbares, sie wird programmatisch geschaffen. Wer die Mitte definiert, der verfügt über die Hegemonie im politischen öffentlichen Raum.

Bis Magdeburg dominierte die sozialdemokratische „Neue Mitte“. Allein Wolfgang Schäuble war gewillt, um sie mit einem eigenen Programm zu streiten. Die Union zauderte – teils überfordert, teils unsicher, ob sie dem anstrengenden Kurs des Fraktionsvorsitzenden folgen sollte. Die Person des Kandidaten muß zum Programm passen, sagt Heiner Geißler, doch zu Schäubles Kurs paßte kein Helmut Kohl mehr. Das war der konservative Grundwiderspruch der letzten Monate. Deshalb war es für die CDU ein Glücksfall, daß Reinhard Höppner mit der Tolerierung durch die PDS die Möglichkeit eröffnete, die Konfrontationslinie von 1994 zu reaktivieren. Damals verteidigte Helmut Kohl die alte Mitte gegen die Bedrohung durch das linke Lager. Es war eine rein taktische Frontstellung, ein Lagerwahlkampf. Es war Heiner Geißlers Erfolgsmodell von 1987, von Hintze zeitgemäß modelliert.

Der Erfolg 1994 sicherte der Union weitere vier Jahre, um eine passende Antwort auf die Auswirkungen der Globalisierung und den einsetzenden Niedergang der neoliberalen Schule zu finden. Denn mittlerweile hat die wirtschaftliche und gesellschaftliche Transformation auch ihre Klientel erfaßt. Nicht nur Ungelernte und das klassische Industriearbeitermilieu müssen um ihre Arbeit bangen – unstetige Lebensläufe drohen auch dem Mittelstand und der technischen Intelligenz.

Schäubles Antworten auf diese neue Lage sind, wie die der Sozialdemokratie, keine großen Würfe. Zudem stehen sie, weil sie den SPD-Ideen teilweise recht ähnlich sind, unter dem Generalvorbehalt, Grundlage einer Großen Koalition zu sein. Deshalb sind sie auch kaum geeignet, für die CDU zu einem identitätsstiftenden Programm zu werden. Bisher mußte sich Schröder von seiner Klientel fragen lassen, was an seinen Positionen eigentlich noch sozialdemokratisch ist. Nun ist deutlich geworden, daß die CDU ein ähnliches Problem hat: nämlich ein konservatives Modell der sozialen Marktwirtschaft fortschreiben zu müssen, das nicht in den plumpen Anti-Etatismus der FDP verfällt und sich andererseits erkennbar von den marktwirtschaftlichen Konzepten der SPD und der Grünen abgrenzt.

Schäuble hat das versucht. Damit gelang es ihm, Jugend an die Partei und die Jungen in der Partei an sich zu binden. Das trug ihm auf dem Leipziger Parteitag die Ernennung zum Nachfolger Kohls ein – eine zwiespältige Ehre, denn seitdem ist er als „ewiger Kronprinz“ an die Kette gelegt. Damit hatte Helmut Kohl den Richtungswahlkampf zwischen Moderne und Tradition innerhalb der CDU entschieden.

Seit dem Bremer Parteitag ist klar, daß die CDU auf die alte, bundesrepubikanische Mitte Kohlscher Prägung setzt. Doch der damit wiederbelebte Lagerwahlkampf leidet an zwei Handicaps. Er muß glaubhaft machen, daß Schröder wirklich mit der PDS regieren wird. Und er muß die negativen Wirkungen eines solchen Bündnisses mit den Erfahrungen der Wähler verknüpfen. Vor 1989, zu Zeiten der Blockkonfrontation, wurde diese Verknüpfung auf dem Gebiet der Außenpolitik hergestellt. Die ist 1998 aber kaum wahlentscheidend – zumal in den Grundfragen ein parteiübergreifender Konsens besteht.

Falls die Lagerstrategie in den kommenden Wochen nicht greift, falls die Umfragewerte der

Union im Keller bleiben, dann hat die CDU keine Möglichkeit mehr, umzusteigen. Sie hat keine neuen Themen, und Kohl hat in Bremen klargemacht, daß er kein Personal neben sich duldet, das für eine Neuerung stehen könnte. Es soll wieder auf den Kanzler ankommen.

In Bremen hat sich die CDU um die Kontroversen um Personen und Programme gedrückt – aus Angst und Traditionalismus. Doch dieser Streit wird, wenn die Partei die Wahl verliert, nach dem 27. September um so erbitterter ausgetragen werden. Dann werden auch all die um entscheidenden Einfluß buhlen, die sich in den letzten Monaten nicht aus der Deckung wagten. Dann wird die CDU vor den Problemen stehen, von denen die SPD hofft, sie bald hinter sich zu haben. Dieter Rulff