Nach Stopp nun Go für die Ostsee-Autobahn

■ Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden: Die Ostsee-Autobahn bei Lübeck darf gebaut werden. Richter kritisieren jedoch Politiker wegen Verzögerung der europäischen Naturschutzrichtlinien. Kieler SPD zufrieden, Grüne enttäuscht

Berlin (taz) – Die A 20 wird weitergebaut. Der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts in Berlin wies gestern die Klage von zwei Naturschutzverbänden zurück und brummte ihnen auch noch die Kosten in Höhe von 50.000 Mark für das Verfahren auf.

Zwar würdigten die Richter die „schwerwiegenden Einwände“ von Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) und Naturschutzbund und warfen der Bundes- und Landespolitik vor, sich bei der Ausweisung europäischer Naturschutzgebiete „nicht gerade verantwortungsvoll“ zu verhalten. Jahrelang hätte Deutschland die Umsetzung der europäischen Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH) verzögert. Doch letztendlich entschied das Gericht formal: Die schleswig- holsteinische Landesregierung habe bei der Planfeststellung keine Rechtsfehler begangen. Begründung: Erst am 5. Juni 1998 sollte die EU-Kommission fahrplanmäßig die FFH-Gebiete absegnen. Somit war 1997, als der Bauabschnitt geplant wurde, auf jeden Fall noch unklar, ob das betroffene Gebiet, die Wakenitzniederung, auf der Liste der europäischen Naturschutzgebiete stehen würde.

Erst im Januar hatten die Bundesrichter den Autobahnbau in Schleswig-Holstein gestoppt, weil sie die Argumente der Umweltschützer eingehend prüfen wollten. „Damals drängte sich der Eindruck auf, als könnten oder sollten sogar vollendete Tatsachen geschaffen werden“, sagte der Vorsitzende Richter Gaentzsch gestern.

Konkret geht es um den ersten Bauabschnitt der Ostsee-Autobahn bei Lübeck. Die Landesregierung hatte sich für die Südtrasse entschieden, obwohl diese aus umweltpolitischen Gesichtspunkten wesentlich ungünstiger ist. „Das war eine politische Bewertung und ist rechtlich nicht zu entscheiden“, so Gaentzsch. Die Umweltverbände hatten jedoch zusätzlich geltend gemacht, daß bei der Südtrasse der nachfolgende Bauabschnitt auf jeden Fall durch die Wakenitzniederung führen wird – und die sei möglicherweise ein Naturschutzgebiet, das unter die europäische Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH) fällt. Dem stimmten die Bundesverwaltungsrichter auch gestern zu: „Die Wakenitzniederung kommt als FFH-Gebiet in Betracht.“ Damit widersprachen sie eindeutig der Entscheidung der schleswig- holsteinischen Regierung in diesem Frühjahr, den Ministerpräsidentin Heide Simonis ihrem grünen Koalitionspartner abgenötigt hatte.

Die Kritik der Richter daran war unüberhörbar. Sobald bestimmte Arten und Biotoptypen vorkommen, müßten die Gebiete nach Brüssel gemeldet werden. Es sei europarechtlich unakzeptabel, FFH- Gebiete mit Blick auf wirtschaftliche Interessen oder Infrastrukturplanungen einfach nicht auszuweisen.

SPD und Wirtschaft in Schleswig-Holstein nahmen die Entscheidung mit Erleichterung auf. „Ein dicker Stein fällt mir vom Herzen“, sagte SPD-Landtagsfraktionschefin Ute Erdsiek-Rave. Die Grünen reagierten dagegen tief enttäuscht. Der Grünen-Abgeordnete Detlef Matthiessen nannte die A 20 ein „Viereinhalb- Milliarden-Grab“. Die Verkehrsprobleme könnten sehr viel billiger durch den Ausbau der Bundesstraßen gelöst werden. Anne Barthel