Symbole, privatisiert

■ Bilder, handgestrickte Lämmer, rosa Plastik und eine große, sentimentale Stoffinstallation von Bea Schlingelhoff in der Galerie für Gegenwartskunst

„Please release me“. Bitte erlöse mich: Ein Satz, der sich seit dem Urknall schon auf Myriaden von Zungen niedergelassen hat; auf denen von Rockstars, von Betenden, von Liebenden. Er formt ein echtes Gefühl, ein großes Gefühl – jeder kennt es; aber auch eine echte, große Lüge – wer glaubt schließlich noch an Erlösung. Manche Dinge haben nur für ein paar Minuten Gültigkeit, für die Länge eines Popsongs irgendwann zwischen 12 und 1 Uhr nachts. Einen Moment später sind sie Schall und Käse. Muß die dauerhafte, unbewegliche Welt der Bilder auf diese wunderbaren Flüchtigkeiten verzichten?

Wie viele andere, und doch anders als viele andere, bemüht sich Bea Schlingelhoff um eine Rückholung von Trash, Kitsch und Sentiment in die Kunst. Ihre Mittel: Understatement, Rotzigkeit und wilde Kombinationen. Ein schnöder Bleistift ist es, der „Please release me“ aufs Blatt kritzelt. Er tut's mit präzisem, antiromantischem, aber geduldigem Strich. Drumherum viel Weiß, Leerstellen für Projektionen.

Die Philosophie- und HfK-Studentin reaktiviert auch sonst gern starke Sätze, starke Symbole, starke Typen aus allen möglichen illusionären Räumen, die sich in einer durchschnittlichen 27jährigen kurz vor der Jahrtausendwende im Laufe eines Lebens verschachtelt haben: Katholizismus, Kinderzimmer und Küche, Buddhismus und Beatgeneration, Pferde und Popmusik, Tattoos, postmoderne Philosophie, Hollywood etc.

Doch alle Symbole sind renoviert. Immer wieder fliegen beschwingte Altarbanderolen durch die Bilder. Aber die dozieren keine alttestamentarischen Gebote, sondern Irdisches – oder üben sich in Schweigen. Selbst ein hypertriviales Glückskleeblatt darf in dieser fragmentarisierten Welt existieren, als eine Stimme unter vielen, befreit von Poesiealbum und Glückskleesahnedose, befreit von dem Kontext der heilen Familie, frei flottierend für alle erdenklichen Sehnsüchte im Bildraum. Und manchmal segeln die Zeichen aneinander vorbei. Dann landet zum Beispiel eine unscheinbare Krone über einer unscheinbaren Krankenschwesterhaube über einer ganz und gar nicht unscheinbaren Punklady. Vielleicht ist es eine Prostituierte, vielleicht aber auch eine Heilige. Ihre neonblutrote Übermalung trifft man jedenfalls wieder bei einem schwerblütigen Kreuz. Alles bleibt ambivalent wie im wirklichen Leben.

Manchmal vermengen sich auch die Welten: Ein erleuchteter Buddha hält eine nackte Frau trophäenartig in den Armen, als wäre er einem süßen, sexistischen Tattoo entsprungen. Außerdem wandern Symbole von einem Bild zum anderen: Ein und dieselbe Haarspange verbindet einen selbstgefälligen Popstar und ein noch zu Träumen fähiges Mädchen. Wenn sie nicht wandern, dann tun sie sich wenigstens wandeln.

Jedenfalls ist Schlingelhoff keine Gemischtwarenhändlerin, die Träume wie Konsumgüter sinnlos stapelt. Der Schwanz ist die Waffe des Mannes. Sagt man. Aber bei Schlingelhoff richtet sich die Mündung gegen den Träger. Vielleicht ist es auch eine Trompete. Die Arme einer benachbarten Frau sind jedenfalls ganz sicher Trompeten: Laden sie zum Spielen ein? Können sie sich strahlend und stolz mitteilen wie eine Trompete? Egal, jedenfalls fällt einem immer gleich was ein bei Schlingelhoffs Text-Bild-Kombinationen. Zum Beispiel bei einem Pferd. Leider hat es seinen Herrn an eine Leuchtreklame verloren. Es muß das Marlboropferd sein!

„Falsch entziffert“, korrigiert Galeristin Claassen-Schmal, „es heißt ,Herz', nicht ,Herr', und beschreibt ein Bild auf der Rückseite des Blattes. Aber denken Sie sich nichts, irren ist produktiv.“ Auch zum Thema Pferd gibt es natürlich eine Variante, nämlich als Inkarnation des Mädchentraums schlechthin. Eigentlich küßt das abgebildete Mädchen nur die Leere. Doch dann entpuppt sich diese Leere als hauchdünn skizziertes Tier. Überhaupt geht es ums Entpuppen – gerade bei gestrickten Puppen. Die wendet Bea Schlingelhoff in Anlehnung an Mike Kelley ins Gruselige oder Groteske. Wenn schon Mütze, dann zieht man sie am besten gleich über den ganzen Kopf, meint wohl ein Schlumpf.

Auch zum ganz großen Pathosausbruch kommt es im ,weiblichen' Medium Stoff: Stofflammen züngeln feurig den Schriftzug „Seine Liebe“ an die Wand. Das antipodische Element Wasser gibt in dieser riesigen Rauminstallation den Widerspruch auf. Badekappen, ein blauer Teppich und zwei Anker philosophieren passend zur Liebe über das Weggeschwemmtwerden, Abtauchen, Ankersetzen, Untergehen. Barbara Kern

Bis 30.6. Di-Fr 14-18h, Do 14-20h, Sa 12-14h, Bleicherstr. 55