Liebe machen in geschützten Fichten

■ Büchner-Preis an Elfriede Jelinek - das ist ein Votum für Sprachgewalt, Streit, Provokationskalkül, Feminismus und: eine fleißig gepflegte Haßliebe zu Österreich. Doch auf die Dauer wird auch die Gekürt

Die Meinung, daß die deutschsprachige Literatur ohne ihre österreichischen Beiträger weniger Farbe, wenn nicht gar geringeres Gewicht hätte, ist im Heimatland von Elfriede Jelinek gefestigt. Weitere Nahrung findet sie, wenn, wie am vergangenen Dienstag bekanntgegeben wurde, nach H.C. Artmann, dem Büchner-Preisträger des vorangegangenen Jahres, heuer Elfriede Jelinek mit dem renommiertesten der deutschen Literaturpreise ausgezeichnet wird.

Elfriede Jelinek, geboren 1946 in Mürzzuschlag, ist eine zutiefst österreichische Autorin: Sie pflegt und runderneuert ihre Haßliebe zu Österreich mit Bienenfleiß. Haßliebe zu Österreich ist sozusagen eine Daseinsgrundbedingung für österreichische Schriftsteller. Man denke nur an Thomas Bernhard, Peter Handke, Peter Turrini, Gerhard Roth... Eine Ausnahme wie Christoph Ransmayr, der allerdings seit kurzem in Irland wohnt, bestätigt wohl eher die Regel.

Wundern braucht sich Österreich über diese Haltung keineswegs. Denn erstens erscheinen die Bücher der genannten Autoren allesamt in Deutschland, und zweitens wird die ländliche Weisheit „Ein grober Klotz braucht einen groben Keil“ von literaturkritischen Patrioten und Schriftstellern gleichermaßen für gültig befunden. Hanebüchen, wenn nicht geschmacklos die Behauptung der nun ausgezeichneten Autorin, die Österreicher hätten sich gefreut über den Bombenanschlag auf Sinti im burgenländischen Oberwart. Doch solche Äußerungen sind wohl auch ein Echo auf manch rohen Ruf in den Wald: Als Elfriede Jelinek 1986 den Heinrich- Böll-Preis zuerkannt bekam, schreckte die österreichische Tageszeitung Kurier nicht davor zurück, der Autorin „Hurensprache“ zu attestieren. Ob der Büchner- Preisträgerin das nun aber paßt oder nicht, auf Dauer wird sie, um Ödön von Horvath abzuwandeln, der Liebe ihrer Landsleute nicht entgehen: Berühmtheit führt hierzulande unweigerlich zur Eingemeindung.

Die Agenturen melden aus gegebenem Anlaß, daß Jelineks Werk „bis heute umstritten“ sei. Wie auch nicht? Jelinek legt es mit all ihrer Sprachgewalt und ihrer Passion für hypertrophe Übertreibungen, die die Wahrheit über unsere Zeit erst heraustreten lassen sollen, auf Streit an. Da sie eine herausragende Autorin und im Lauf der Zeit eine ebenso erfolgreiche Promoterin ihrer Texte geworden ist, gelingt es ihr spielend, sich im Gespräch zu halten mit provokanten Kommentaren zum Zeitgeschehen wie dem oben zitierten und mitangekündigten Skandalen wie jenen um das Stück „Raststätte“. Das Theater ist für die Dramatikerin Jelinek auch eine ideale Marketingmaschine.

Jelineks Kür zur Büchner-Preisträgerin des Jahres 1998 durch die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung ist zu begrüßen; nicht zuletzt deshalb, weil dieser seit 1923 bestehende Preis erst sechsmal an Frauen vergeben wurde. Es muß der Feministin Jelinek Vergnügen und Anlaß zur Klage sein, daß mit ihr erst das siebte Mitglied in die erlauchte Büchner- Preisträgerinnenrunde (Anna Seghers, Elisabeth Langgässer, Marie Luise Kaschnitz, Ingeborg Bachmann, Christa Wolf und Sarah Kirsch) aufgenommen ist.

Eine Folge dieses Preises ist die implizite Einladung an die Leser, sich die zahlreichen Romane der Autorin zu Gemüte zu führen. Gegenwärtig steht die Dramatikerin Jelinek im Vordergrund, die jedoch mit „Lust“ (1989) und „Die Kinder der Toten“ (1995) zur Bestsellerautorin geworden ist. Eine heitere, aber nicht weniger scharfzüngige Jelinek findet man in der „Klavierspielerin“ (1983). Der vielleicht beste Roman, „Die Liebhaberin“, stammt aus dem Jahr 1975. Der erste Satz „kennen Sie dieses SCHÖNE land mit seinen tälern und hügeln?“ deutet den leichtfüßig-ironischen Ton dieser Abrechnung mit Österreich an. Schmerzhaft präzise und ungemein komisch zugleich beschreibt Jelinek hier die Ehe- und Lebensumstände von Frauen. Wer die Avantgardistin Jelinek entdecken möchte, tue dies am besten mit der plastikumhüllten, schwarzglänzenden Originalausgabe von „wir sind lockvögel baby!“: „gewidmet dem österreichischen bundesheer“ steht auf dem Vorsatzblatt des Buches, dessen Titel man nach Vorschlägen der Autorin austauschen konnte: „liebe machen in geschützten fichten“ klingt, finde ich, auch ziemlich gut. Stefanie Holzer